Gefeuert
also da muss ich widersprechen. Das geht gar nicht. Die Frau sieht aus wie die wildhaarige Comicfigur Gundel Gaukeley. Wir einigen uns schließlich auf drei Fotos. Rainer zieht sie am Computer gleich in Form.
»Hier würde ich ein quadratisches Format wählen.«
Ich schweige und versuche, ein intelligentes Gesicht zu machen und dabei nachzuvollziehen, wieso da jetzt ein Quadrat zwingend sein soll.
»Bei dem nicht, da ist quer besser.«
Quadratisch? Quer? Ich steige aus. Hauptsache, ich habe mein DI N-Foto . Solange er es nicht dreieckig zuschneidet.
80 Euro kosten mich das Shooting und die Bilder. Auf dem Heimweg fällt mir ein, dass ich ganz vergessen habe zu fragen, ob er mich auch in sein dickes schwarzes Buch steckt. Als Gundel Gaukeley womöglich?
Angeblich sollen Bewerbungen dem Arbeitgeber einen Eindruck über die Person des Bewerbers geben. Aber das ist Quatsch. Genauso wie die Annahme, dass bei der typischen Frage im Vorstellungsgespräch: »Was sind denn Ihre Stärkenund Schwächen?«, Ehrlichkeit trumpft. Das Gegenteil ist der Fall: Eine schön polierte Oberfläche macht sich am besten.
Dass mein Bewerbungsfoto mit mir selbst in Wirklichkeit gar nichts zu tun hat, stört mich überhaupt nicht. Hauptsache, der erste Eindruck stimmt und meine Mappe landet auf dem Stapel »Zum Vorstellungsgespräch einladen«.
Im Arbeitsalltag ist es ja auch nicht anders. Die meisten verstecken sich hinter einem Arbeits-Ich, das sich gegebenenfalls anpasst, notfalls schweigt und manchmal sogar verbiegen lässt. Rundheraus ehrlich zu sein, kommt selten gut. Sehr aufschlussreich, wie es in unseren Büros zugeht, ist eine Studie der Personalberatung Lachner Aden Beyer & Company, die Manager nach deren Werten befragte. Fast drei Viertel der Interviewten gaben zu, dass sich ihre moralisch-ethischen Maßstäbe im Lauf ihres Berufslebens verschoben haben, und 37 Prozent beobachten in ihrem direkten Arbeitsumfeld häufig moralisch verwerfliche Handlungen. Schon beim Berufseinstieg, vor allem aber mit der Übernahme erster Projektverantwortung und einer Führungsposition lauere die Gefahr, dass bedenkliche Praktiken die eigenen Wertvorstellungen verdrängten.
Was ist dagegen schon ein werbeprospekttaugliches Bewerberfoto mit geschönten Zähnen? (»Die weißele ich dir noch«, hatte Rainer gesagt.)
Abends blättere ich durch meine Bewerbungsunterlagen. Ich kann zufrieden sein. Eine befreundete Grafikerin hat mir inzwischen das Anschreiben und den Lebenslauf aufgepeppt. Ich lese mir noch einmal das letzte Zeugnis durch. Jetzt fällt mir zum ersten Mal auf, dass es in einem Punkt sogar verbessert wurde. Ich erinnere mich, dass Jürgen es damals Herrn Roth zur Kenntnis schicken wollte. Habe ich die Verbesserung also Herrn Roth zu verdanken? Ich bin etwas beschämt. Habe ich ihm doch Unrecht getan? Offensichtlich verhält er sich korrekt und scheint mir – soweit es die Umstände zulassen – wohlgesinnt zu sein. Habe ich auch der Anwältin Unrecht getan mit meinem Misstrauen? Es mag sein, dass ich manches zu persönlich nehme. Alle drei machen einfach nur ihren Job. Aber genaudas ist wahrscheinlich das Problem: Ich will kein Job sein. Bei mir geht es jetzt seit der Kündigung um, wenn auch nicht alles, so doch ziemlich viel. Ich will persönlich behandelt werden und mich nicht als austauschbare Nummer fühlen.
Gerade weil alle nur ihren Job machen und nicht besonders an meinem Wohlergehen interessiert sind, weiß ich inzwischen, wie wichtig es ist, selbst sehr gut aufzupassen und überlegt vorzugehen, sobald klar ist, dass man seine Stelle verliert. Am besten wäre es, jeder Gekündigte würde einen Handzettel mit den wichtigsten Regeln erhalten.
Regel Nummer eins müsste ganz klar lauten: Sorge für ein gutes Zeugnis und frage dafür Experten um Rat.
Regel Nummer zwei könnte sein: Verwandle dich zum DI N-Bewerber , um die Erwartungen der Arbeitgeber zu erfüllen.
Ob das richtig ist und wie Regel Nummer drei, vier und fünf lauten, wird sich unweigerlich die nächsten Wochen herausstellen.
[ Menü ]
Der Sturz
Zwei Tage später steht der Morgen ganz im Zeichen des Anrufs der Arbeitsagentur. Die Kinderbetreuung ist organisiert. Mein Mann nimmt den Kleinen, damit ich in Ruhe telefonieren kann, und Ella ist in der Schule. Um neun Uhr soll ich angerufen werden. Der Zettel mit der Rentenversicherungsnummer und den anderen Angaben liegt bereit.
Um halb neun klingelt das Telefon. Ich sehe ein zweites Mal auf die Uhr. Das wird
Weitere Kostenlose Bücher