Gefeuert
finde es nicht richtig, sich eigens dafür kündigen zu lassen, um den Gründungszuschuss oder sonstige Gelder einzusacken. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das so einfach funktioniert. Andererseits ist es schwierig, eine Grenze zu ziehen. Theoretisch könnte ich mich schließlich heute schon selbstständig machen, ohne den Gründungszuschuss zu nutzen. Aber das ist schlicht unmöglich. Von jetzt auf gleich könnte ich nie und nimmer als Selbstständige genug verdienen. Ob neun Monate mit Anschubfinanzierung reichen? Ich bin mir sehr unsicher mit meinem gegenüber meinem Vater noch groß herausposaunten Plan. Ich scheue auch das Risiko einer Selbstständigkeit. Ich bin darauf angewiesen, dass regelmäßig genug Geld hereinkommt. Eine schwankende Auftragslage kann ich mir schlicht nicht leisten. »Könnte es auf Dauer klappen?«, frage ich mich zweifelnd.
Falls nicht, müsste ich rechtzeitig vor Ablauf der neun Monate Gründungszuschuss einen Job suchen. Aber vielleicht bin ich dann zu lange weg vom Arbeitsmarkt. Vielleicht nimmt mich dann keiner mehr? Meine Zweifel führen mich immerhin zu einem Entschluss: Ich werde doppelgleisig fahren. Ich werde so bald wie möglich beginnen, mich als Selbstständige zu positionieren und gleichzeitig weiter Bewerbungen schreiben. Eines von beiden wird klappen, muss klappen. Bestimmt.
Abends fahre ich zu einem Treffen von Arbeitslosen, das von einem gemeinnützigen Verein organisiert wird. Es interessiert mich, welche Menschen dort hinkommen, was besprochen wird, wie die Stimmung ist. Es ist das erste Mal, dass ich auf so eine Veranstaltung gehe. Ich halte das für eine tolle Sache, die sicherlich vielen hilft. Ich betone das, weil es mir gar nicht so geht.
Als ich das kleine Büro, das Ort des regelmäßigen Treffens ist, betrete, möchte ich am liebsten gleich wieder rückwärts hinausgehen. Es riecht nach ungelüfteter Bettwäsche. Am Tisch sitzt ein Mann, der sich in Broschüren vertieft. Ich hatte ihnvorher von außen durchs Fenster gesehen und wusste schon da: »Das ist nichts für dich« und trödelte daraufhin unnötig beim Abschließen des Fahrrads.
Trotzdem bin ich reingegangen, nachdem ich extra hergefahren bin. Der Mitarbeiter hinter einer Art Theke begrüßt mich sehr offen und nett. Er scheint sich zu freuen, dass noch jemand gekommen ist. Auch ich schnappe mir erst einmal ein paar Prospekte, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, und setze mich damit an den Tisch. Ich versuche einen Smalltalk mit dem anderen Besucher anzufangen, aber das funktioniert überhaupt nicht.
Dann werde ich per Handschlag von einem Mitarbeiter begrüßt, der heute die Runde leitet. Als es losgeht, sind wir insgesamt zu viert. Er erzählt von dem Verein, von kostenlosen Bewerbungscoachings und sozialtherapeutischen Sprechstunden, in denen Arbeitslosen geholfen wird, ihr Selbstwertgefühl aufzubauen. Davon, dass es vielen hilft, in so einer existenzbedrohenden Situation nicht alleine zu sein, sondern zu sehen: anderen geht es auch so.
Es ist wirklich eine tolle Sache, was sie hier machen. Aber mich zieht das Treffen runter. Vielleicht ist es der falsche Zeitpunkt, vielleicht hätte ich an einem anderen Tag kommen sollen, an einem Tag, an dem ich verzweifelter war, direkt nach der Kündigung vielleicht. Heute habe ich nur das Gefühl, mich dagegen wehren und schnell fortzumüssen. Die anderen Teilnehmer sind in schwierigen, deutlich schwierigeren Situationen als ich.
Besonders nimmt mich die Geschichte eines Mannes mit, der wegen unglücklicher persönlicher Umstände nach seinem Hochschulstudium den Berufseinstieg verpasst hat. Jetzt, acht Jahre später, gilt er immer noch als Anfänger. »Ich habe immer gelernt und gearbeitet«, sagt er. Den Mitgliedsbeitrag in Höhe von zehn Euro monatlich kann er sich nicht leisten. Als das Gespräch allgemeiner wird und vom Arbeitsmarkt handelt, liefert er sehr fundierte Beiträge, die klarmachen: Der hat Ahnung, der hat gute Ideen, das ist ein echt kluger Kopf. Jedes Unternehmensollte froh sein, so einen engagierten Menschen an Bord zu haben. Und doch ist angesichts seines Lebenslaufs völlig klar, warum er es nicht einmal bis zum Vorstellungsgespräch schafft. Ich habe keine Ahnung, wie er es anstellen könnte, zu einem Job zu kommen.
Ich versuche mehrmals erfolglos, den Absprung zu schaffen, doch das Gespräch nimmt immer wieder Fahrt auf. Nach zwei mühsamen Stunden ist es endlich so weit und wir verabschieden uns. Ich bin
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