Gefeuert
soll – außer dem Personalausweis. Im »Merkblatt« steht »Arbeitspapiere« – was auch immer sich die Agentur darunter vorstellt – und den Antragsvordruck solle ich »gut leserlich ausfüllen«. Daraufhin wollte ich mir diesen Vordruck auf der Internetseite arbeitsagentur.de ausdrucken, hatte aber die Rechnung ohne die Behörde gemacht. Denn es gibt im Internet kein entsprechendes Formular: »Den Antrag auf Arbeitslosengeld erhalten Sie bei Ihrer Arbeitsagentur.« Schade, ich hätte ihn gerne ausgefüllt mitgebracht. Das würde mir und der Behörde Zeit sparen.
Heute Morgen überlege ich kurz, ob ich Tino Rindfleisch anrufen soll, um nach den nötigen Unterlagen zu fragen. Tino ist ja der nette Berater von der Arbeitsagentur-Hotline, der mich bei meinem letzten Termin im Arbeitsamt von mehreren Plakaten grüßte. Aber es ist noch zu früh. Die Hotline ist erst ab 8 Uhr zu erreichen.
Also lasse ich meine Mappe wie sie ist, schnappe mir meinen schwarzen Mantel und mache mich wie ein schwarzer Trauervogel auf den Weg. Es regnet wieder. Die Vorstellung gefällt mir, dass es jedes Mal regnet, wenn ich zum Arbeitsamt muss. Dabei mag ich Regen. Das Arbeitsamt mag ich definitiv nicht. Auf dem Weg dorthin beginne ich wieder Selbstgespräche mit den mir noch unbekannten Mitarbeitern zu führen, die ich jetzt treffen werde. Ich ertappe mich, wie ich mich ständig rechtfertige. Dafür, dass ich erst jetzt komme und nicht bereits am 1. desMonats da war. (»Frau Mayer hat mir abgeraten, schon am 1. zu kommen. Außerdem ist mein Bruder sehr krank.«) Dafür, dass ich nur Originale dabeihabe und keine Kopien. (»Ich dachte, das sei nur zur Vorlage.«) Dafür, dass ich die Arbeitgeberbescheinigung noch nicht mitgebracht habe. (»Ich dachte, die bräuchten Sie erst am Ende des Beschäftigungsverhältnisses.«) Dafür, dass ich nicht ganz pünktlich um acht da sein werde. (»Ich musste erst einen dringenden Anruf erledigen. Wissen Sie, ich nutze meine Kontakte …«)
Unterwegs suche ich erfolglos nach einem Kopierladen. Selbst in der Nähe der Arbeitsagentur gibt es keinen. Dafür sehe ich auffällig viele Sonnen- und Nagelstudios, Frisöre, Imbissläden und Kneipen. Um viertel nach acht parke ich vor dem hässlichen Betonklotz ein. Es ist viel los, mehr als beim letzten Mal. »Sehen Sie«, sage ich zu Frau Mayer im Ohr. »Es stimmt gar nicht, dass alle Arbeitslosen gerne lang schlafen.« Am Eingang hängt ein Hinweis auf ein »Sommer-Camp«, dabei ist der Herbst schon da. Innen hat heute ein Früchtestand offen. Ob sich hier ein Arbeitsloser mit dieser Idee selbstständig gemacht hat? Statt stehen zu bleiben und ihn zu fragen, eile ich wie alle anderen stumm durch das Gebäude und stehe schließlich um zwanzig nach acht an dem Empfang, der mich schon letztes Mal an ein Billighotel erinnerte. Eine Dame sitzt hinter einem Computer und blickt mich freundlich an. Tatsächlich, hier ist keine Schlange. Niemand ist da. »Okay«, sage ich zu Frau Mayer im Ohr, »danke für den Tipp.«
Zur lächelnden Empfangsdame sage ich: »Guten Morgen. Ich möchte mich persönlich arbeitslos melden. Telefonisch habe ich das bereits gemacht und bei der Jobberaterin war ich auch.« (»Du rechtfertigst dich schon wieder, du Musterschülerin«, schimpfe ich mich selbst.)
»Zu welchem Termin ist denn die Kündigung?«, will sie wissen, noch bevor ich ihr meinen Personalausweis und den Zettel mit meiner »Kundennummer« überreiche. Dabei tippt sie eifrig auf der Tastatur. Dann fragt sie mich: »Haben Sie früher in Duisburg gelebt?«
Etwas erstaunt schüttele ich den Kopf. Duisburg? Da hat ihr Computer offensichtlich etwas durcheinandergebracht. Sie gibt wieder irgendwelche Dinge ein, dann liest sie mir meine Adresse vor und fragt, ob diese noch aktuell sei. Offensichtlich hat sie mich jetzt in ihrem System entdeckt.
Plötzlich wendet sie sich mir zu. »Darf ich Ihnen noch zwei Fragen stellen?« Die Dame ist freundlich. Sehr freundlich. Sicherlich hat sie früher in der Dienstleistungsbranche gearbeitet. Vielleicht als Stewardess?
»Ja, natürlich.«
»Sind Sie krankgeschrieben?«
Verwundert schüttele ich den Kopf. »Nein.«
»Haben Sie einen Schwerbehindertenausweis?«
Ich glaube, mich verhört zu haben, verneine aber brav. Beide Fragen kommen so unvermittelt völlig seltsam rüber.
»Darf ich Sie dann bitten, Platz zu nehmen? Sie werden aufgerufen.«
Ach so, das war erst der Anfang. »Was passiert jetzt wohl noch?«, frage ich mich und
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