Gefeuert
in meinem Ohr sagen würden oder zu den Schulterschmerzen?
Auf dem Heimweg fällt mir wieder das seltsame Lädenpotpourri auf, das den Weg von und zur Arbeitsagentur säumt. Es gibt hier offensichtlich einen Bedarf nach diesen Geschäften. Gehen wir Arbeitslose nach einem Behördenbesuch vielleicht gerne ins Sonnenstudio und zum Frisör, um uns etwas Gutes zu tun? Und danach in die Kneipe, um Frau Mayer im Ohr zum Schweigen zu bringen?
Ich kehre jedenfalls nicht ein, sondern fahre nach Hause und formuliere unterwegs im Kopf einen Brief an Herrn Roth. Ich überlege, ob ich etwas Persönliches schreiben soll, immerhin waren wir viele Jahre lang ein gut eingespieltes Mitarbeiter-Personalreferent-Pärchen.
»Wie geht es Ihnen, Herr Roth?«, könnte ich aus echtem Interesse schreiben. Ich überlege wirklich, wie es jemandem geht, der – zumindest in den Monaten der Krise – hauptberuflich kündigt. Oder ich schreibe vertraulich: »Dieses Jahr ist hart für mich. Mein Bruder wurde unerwartet schwer krank. Er wird heute zum zweiten Mal operiert. Das schmerzt noch mehr als die Kündigung. Verstehen Sie das?« Oder ich schreibe einfach: »Schade, dass ich Ihnen nur die Arbeitsbescheinigung schicken darf, viel lieber würde ich arbeiten.«
Auf dem Nachhauseweg klingelt das Handy. Mein Vater ist dran.
»Er hat die Operation gut überstanden. Aber ruf heute nicht an. Er braucht Ruhe.«
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Das Merkblatt
Am nächsten Tag packe ich die Antragsformulare für das Arbeitslosengeld aus. Obenauf liegt ein pinkfarbener Notizzettel mit freigelassenen Feldern zum Ausfüllen: Termin im Antragsservice um ______ Uhr. Bearbeitungsplatz ______. Ich ziehe den Hut vor so viel Fürsorglichkeit. Allerdings wäre es mir sicher gelungen, selbst einen Zettel entsprechend zu beschriften. Diesen Servicecharakter würde ich mir lieber für die Formulare wünschen. Aber hier geht es knallhart zur Sache. Für Service und Freundlichkeit ist da keine Zeit.
Die ersten Kästchen sind einfach: Bankverbindung, Familienstand. Interessant wird es bei Punkt 2a, der lautet: »Ich werde alle Möglichkeiten nutzen, um meine Beschäftigungslosigkeit zu beenden.« Hier kann ich »Ja« und »Nein« ankreuzen. Ich halte das »Ja« für selbstverständlich. Potenzielle Neinsager werden auf das »Merkblatt für Arbeitslose« verwiesen. Hier erfahren sie in Kapitel 2.4. in mehreren Abschnitten: »Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld setzt voraus, dass Sie alle Möglichkeiten zur beruflichen Eingliederung nutzen.« Damit keine Missverständnisse aufkommen, wird erklärt, was unter »alle Möglichkeiten« zu verstehen ist: »Eigenbemühungen können zum Beispiel sein … schriftliche Bewerbungen, die Auswertungen von Stellenanzeigen.« Und damit es wirklich jeder kapiert, heißt es schließlich explizit: »Wollen Sie keine Eigenbemühungen unternehmen, haben Sie keinen Leistungsanspruch.«
So geht es von Punkt zu Punkt weiter. Wer jemals die Vorstellung hatte, mithilfe des Arbeitslosengeldes ein lange ersehntes Sabbatical, eine berufliche Auszeit, einzulegen, wird hier eines Besseren belehrt. Zu fast jedem Punkt gibt es seitenlange Erklärungen im Merkblatt. Punkt 2e lautet: »Ich kann bestimmte Beschäftigungen nicht mehr ausüben oder muss mich zeitlich einschränken.« Ja oder Nein? Was das bedeutet, erfahre ich im Merkblatt: »Sie müssen persönlich für Ihre Agentur für Arbeitan jedem Werktag unter der von Ihnen benannten Anschrift erreichbar sein.« Will ich verreisen, und sei es ein Tag, muss ich spätestens eine Woche vorher die Genehmigung von der Agentur einholen. »Sie wird Sie informieren, unter welchen Bedingungen ein leistungsunschädlicher Aufenthalt möglich ist.« Werde ich krank, muss ich »unverzüglich« dem Arbeitsamt Bescheid sagen und ein Attest abgeben. Wird eines meiner Kinder krank, kommt eine Leistungsfortzahlung immerhin »in Betracht«.
Außerdem erfahre ich, dass ich verpflichtet bin, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen. »Zumutbar« sind für das Arbeitsamt unter anderem: ein Gehalt, das bis zu 30 Prozent niedriger als Tarif liegt, und ein Job, der nicht unbedingt der Ausbildung oder bisherigen beruflichen Tätigkeit entspricht.
Eine weitere Voraussetzung dafür, überhaupt Arbeitslosengeld zu bekommen, ist die »Anwartschaftszeit«. Diese grässliche Wortschöpfung steht für die Monate, die ich in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe. Nur wer in den vergangenen beiden Jahren mindestens zwölf Monate
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