Gefeuert
überlasse Max gerne für die Zeit des Telefonats Johannes, der ihn bestimmt auf andere Gedanken bringen wird. Sabine und ich haben uns lange nicht gesprochen. Sie zählt zu den Freunden, die leider Hunderte von Kilometern weit weg wohnen. Wir bringen uns kurz gegenseitig auf den neuesten Stand. Ich erzähle ihr ganz offen von der Kündigung.
»Super. Dann hast du ja jetzt Zeit«, sagt sie völlig unironisch.
Ich stutze. Ob sie mich falsch verstanden hat? Ich habe ja mittlerweile schon viel gehört, aber so eine Reaktion habe ich wirklich noch nie bekommen.
»Ich meine wegen dem Kleinen«, erklärt sie sich. »Das eine Jahr Elternzeit ist so schnell rum. Und du hast immer so viel gearbeitet.«
»Aber …«, setze ich an.
Doch sie spricht gleich weiter. »Du bist doch erst mal abgesichert und bekommst Arbeitslosengeld. Das würde ich ganz langsam angehen. So vielen, die ich kenne, wird gerade gekündigt oder sie sind in Kurzarbeit. Nur den Beamten geht’s gut«, sagt sie noch. Sie ist selbst Beamtin. Und deswegen kann sie wahrscheinlich auch so etwas wie Sorgen eines Jobsuchers nicht nachvollziehen.
Sie hat ja keine Ahnung. Es ist der reine Horror, wenn ich mir vorstelle, arbeitslos zu werden. Mir fehlt schlicht die Ruhe, es »ganz langsam« angehen zu lassen, wenngleich ich es versuche, um einen klaren Kopf zu bewahren. Auch vor mir selbst habe ich ein Problem damit, »arbeitslos« zu sein. Das passt noch weniger in mein Selbstkonzept, als gekündigt zu werden. Aber unser Gespräch verläuft so nett, da kann ich doch nicht plötzlich so eine Dramatik hineinbringen. Also sage ich nichts, doch sie spürt meinen Widerspruch offenbar. Wohl darum beendet sie unser Telefonat schließlich mit einer Art Mahnung: »Mach dir jetzt wirklich mal keinen Stress. Auch wenn du plötzlich jeden Job erstrebenswert findest und mit jedem Angestellten tauschen möchtest, selbst wenn er nur Brötchen verkauft.«
Nachdem sich Max verabschiedet hat, sitze ich noch einen Moment mit Johannes im Wohnzimmer. Zum ersten Mal seit der Kündigung habe ich den Eindruck, die Dinge im Griff zu haben. Ich habe einen Auftrag geangelt – offenbar besteht also Interesse an meiner Arbeit, meine Bewerbungsunterlagen sind perfekt und die ersten Bewerbungen sind auf dem Weg. Auf einmal trägt meine Gekündigtenarbeit Früchte. Ich sehe Ergebnisse und das macht mich zuversichtlich.
»Du bekommst das hin«, sage ich mir zufrieden. Und es klingt zum ersten Mal seit Langem nicht mehr so, als müsste ich mich selbst überzeugen.
Da klingelt wieder das Telefon. Es ist mein Bruder. Sein »Hallo« klingt gedämpfter als sonst.
»Ich habe Krebs«, sagt er. »Morgen muss ich ins Krankenhaus.«
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Das Taschengeld
Am nächsten Morgen wache ich mit einer düsteren Stimmung auf, es dauert ein paar Sekunden, bis mir einfällt warum: Krebs. Die Kündigung ist darüber mit einem Mal kein Thema mehr. Unerwartet gekündigt zu werden, das fühlte sich an, als hätte jemand mit einem Hammer in meinen Alltag geschlagen. Es hat mich sehr aus dem Gleichgewicht gebracht und diesen Schreck habe ich noch nicht überwunden, er kommt immer wieder hoch. Die Grundfesten unseres Lebens wurden erschüttert, die finanzielle Sicherheit, die mein Job unserer Familie garantierte, ist weggebrochen. Aber ich bin dabei, wieder Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Ich kümmere mich um die Formalien, ich schaue nach Alternativen zu meinem alten Job, ich kann etwas tun. Und das hilft mir, über die Momente der Verzweiflung und Unsicherheit hinwegzukommen. Die Diagnose Krebs dagegen macht mich völlig hilflos. Das Einzige, was ich für meinen Bruder tun kann, ist für ihn da zu sein – und hoffen. Hoffen, dass der Krebs nicht schon weit fortgeschritten ist, hoffen, dass die Operation erfolgreich verläuft, hoffen, dass bald wieder alles gut ist.
Die folgenden Wochen sind von seiner Krankheit überschattet. Am Anfang telefonieren wir mehrmals täglich. So kann ich wenigstens seine Langeweile in der Klinik und vielleicht auch seine Ängste, über die wir nie sprechen, kurzzeitig vertreiben, hoffe ich. Ich besuche ihn auch mehrmals, immer wenn es mir mein Kalender erlaubt und es sich mit den Kindern organisieren lässt.
Dazwischen hänge ich mich voll in die Arbeit. Inzwischen ist ein weiterer Auftrag hereingekommen. Es spricht sich offenbar schnell herum, dass ich wieder Aufgaben übernehmen kann. Ich arbeite vor allem abends, weil tagsüber häufig etwas dazwischenkommt.
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