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Gefeuert

Titel: Gefeuert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Berger
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sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, hat Chancen aufs Arbeitslosengeld. Allerdings werden auch Zeiten wie Wehr- oder Zivildienst, Mutterschutz und Elternzeit berücksichtigt.
    Heikel könnte für mich Punkt 3e werden. »Ich erhalte noch Zahlungen von ehemaligen Arbeitgebern für Zeiten nach meinem Ausscheiden.« Darunter fällt auch meine Abfindung. Herr Roth sicherte mir damals in unserem Gespräch zu, dass die Abfindung nicht aufs Arbeitslosengeld angerechnet wird. Doch im Merkblatt steht: »Auch wenn Sie eine Entlassungsentschädigung erhalten, ruht Ihr Leistungsanspruch für eine bestimmte Zeit, wenn Sie unkündbar waren oder die Kündigungsfrist nicht eingehalten worden ist. Einzelheiten hierzu enthält das Merkblatt 17.«
    Eigentlich müsste ich auf der sicheren Seite sein: Ich war nicht unkündbar – sonst hätte das Gewerbeaufsichtsamt nicht zugestimmt – und die Kündigungsfrist wurde eingehalten. Vorsichtshalber suche ich im Internet dennoch nach Merkblatt 17und lese: »Die Berücksichtigung von Entlassungsentschädigungen ist in § 143a Drittes Buch Sozialgesetzbuch geregelt.« Ich kaue mich durch § 143a und verstehe immerhin, dass man nur dann Probleme bekommt, wenn die Kündigungsfrist nicht eingehalten wurde.
    Hoffentlich geht das glatt. Ich brauche die Abfindung, falls ich tatsächlich arbeitslos werden sollte. Das Arbeitslosengeld beträgt mit Kindern 67 Prozent des Nettoeinkommens, für Singles nur 60 Prozent. Das reicht uns nicht. Aber auch falls ich mich selbstständig mache, bin ich auf die kleine Reserve angewiesen. Zugleich habe ich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Ich weiß sehr wohl, dass es Menschen gibt, die es schlechter getroffen haben als ich. Die gesetzliche Kündigungsfrist beträgt vier Wochen und nicht sechs Monate, wie bei mir. Ich bekomme nicht nur eine Abfindung, sondern ein paar Wochen lang auch noch mein altes Gehalt. Mein mögliches Absinken in die Arbeitslosigkeit ist abgefedert. Was soll dagegen jemand machen, der vielleicht noch nicht einmal lange genug in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, um überhaupt Arbeitslosengeld zu bekommen? Er schlittert in die Katastrophe.
    »Julia, das hilft doch nichts, wenn du dich jetzt mit Menschen vergleichst, denen es schlechter geht«, sage ich zu mir. »Du musst selbst sehen, wo du bleibst!« Ich habe das Gefühl, meine Familie und alles, was ich bisher erreicht habe, verteidigen zu müssen. Auf einmal habe ich Gegner, die Arbeitsagentur mit ihren Paragrafen, Beamte, die meine Kündigung durchwinken, Unternehmen, die nur »Junior-Positionen« besetzen. Ich bin unversehens in einen Kampf um unsere Existenz geraten.
    Immerhin geht es meinem Bruder einigermaßen. Er liegt mit Schmerzmitteln vollgepumpt im Krankenhaus, klingt aber ganz gut. Ich nehme an, er ist einfach erleichtert, es hinter sich zu haben. Ich auch.

    Abends klingelt es an der Tür. Ein fremder schmächtiger Herr steht mir gegenüber, fein gekleidet. Ich habe gerade den Kleinen auf dem Arm und die Milchflasche in der Hand und starreihn wohl etwas verwundert an. »Ist das jetzt ein Hausbesuch von der Arbeitsagentur?«, schießt es mir durch den Kopf.
    »Guten Tag, ich komme von Ihrem Telefondienstleister. Wir haben da jetzt ganz neue Tarife …«
    Jetzt stellt sich Johannes dazu. Er hat sich wohl gefragt, was an der Tür passiert. Nun starren wir den Mann zu dritt an. Er wirkt nett, trotzdem überlege ich, ob das hier der »Ich-bin-angeblich-von-den-Stadtwerken-will-aber-nur-Ihre-Handtasche rauben«-Trick ist. Irgendwie schaffen wir es endlich, ihn abzuwimmeln, ohne allzu unhöflich zu sein.
    »Der hat mir jetzt richtig leid getan«, sage ich zu Johannes. »Was für ein schrecklicher Job, die Leute daheim mit irgendwelchem Tarifgedöns zu belästigen.«
    »Das sind die Jobs, die das Arbeitsamt vergibt«, meint mein Mann.
    Na, ob er damit recht hat?, zweifle ich. Aber ich erschrecke doch. Oh Gott, könnte es je so weit kommen, dass ich so einen Hausiererjob annehmen muss?
    Mit der Hartz-I V-Reform wurden auch die Regeln verschärft, welche Jobs Arbeitslosen »zumutbar« sind. In seiner Regierungserklärung am 14. März 2003 zur »Agenda 2010« kündigte der damalige Bundeskanzler Schröder an: »Niemandem aber wird künftig gestattet sein, sich zu Lasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Wer zumutbare Arbeit ablehnt – wir werden die Zumutbarkeitskriterien verändern –, der wird mit Sanktionen rechnen müssen.«
    Das trifft auch Arbeitslose,

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