Gefeuert
ist dagegen eine Wohltat. Sie ist so sanft und klingt so sympathisch und ja, selbstverständlich, schickt sie mir das Formular zu. Als ich daraufhin gleich einen Termin beim Antragsservice ausmachen will, blockt sie aber ab.
»Haben Sie die Arbeitsbescheinigung auch schon?«, fragt sie mich ungläubig. Offenbar ist es völlig normal, Wochen zubrauchen, bis man endlich alle nötigen Formulare für den Antrag organisiert hat.
»Ja«, antworte ich ihr. »Die Bescheinigung habe ich bereits.«
Einen Termin will sie mir trotzdem nicht geben und ich habe nicht die Kraft, darauf zu beharren. Erst wenn meine Krankenkasse das neue Formular ausgefüllt hat, darf ich ihn vereinbaren. Dann soll ich noch einmal anrufen. Langsam frage ich mich, ob die Arbeitsagentur an den Hotline-Anrufen verdient. Wahrscheinlich steht irgendwo im Kleingedruckten des Merkblatts: 21 Cent pro Minute.
Schon ein paar Tage später bin ich wieder unterwegs zu meiner Lieblingsbehörde. Kaum hatte ich das letzte noch fehlende Formular, habe ich sofort einen Termin ergattert. Flott sind sie bei der Agentur. Das hätte ich nicht erwartet. Auf dem Weg dorthin ertappe ich mich wieder bei Selbstgesprächen. Mir fällt ein, dass ich vergessen habe, den Elterngeldbescheid zu kopieren. Ich könnte mich in den Hintern beißen, andererseits sollte es kein Problem sein, ihn nachträglich zu faxen.
Vor der Arbeitsagentur anzukommen, ist nicht mehr ganz so schrecklich wie beim ersten Mal. Es stellt sich ein Gewohnheitseffekt ein. Es fühlt sich so an, als würde ich zu einer ungeliebten Arbeitsstelle fahren. Dieses Mal fällt mir auf, dass man niemandem hier die Arbeitslosigkeit ansieht. Die Menschen um mich herum könnten den unterschiedlichsten Berufen nachgehen. Andererseits: Wie sieht ein typischer Arbeitsloser überhaupt aus? Vielleicht sollte ich Frau Mayer im Ohr fragen.
Erst als ich das hässliche Gebäude betrete, ist mir unangenehm zumute. Es ist so eine seltsame Stimmung hier – auf stille Art geschäftig, unnatürlich ruhig, als hätten alle Tranquilizer geschluckt. In der Toilette treffe ich auf eine Frau mittleren Alters, die sich auf Zehenspitzen stehend eifrig bemüht, ihren Mantel auf dem Händetrockner abzulegen.
»Es sind keine Haken da«, sagt sie entschuldigend, als ich dazukomme. »Der Staat gibt für so viel Geld aus, aber für Haken reicht es nicht.« Sie schüttelt den Kopf und wird geradezuphilosophisch. »Das wird so bleiben. Hier ist doch das Motto: ›Da muss man eben den Menschen ändern‹, wenn wir nicht in die Paragrafen passen.«
Ich würde mich gerne mit ihr weiter unterhalten. Sie ist die Erste, die das Schweigen bricht, das uns »Kunden« zu überkommen scheint, sobald wir die Arbeitsagentur betreten. Außerdem bedeutet es für mich eine willkommene Ablenkung, ihre Idee weiterzuspinnen. Vielleicht trägt der Arbeitslose der Zukunft Haken?
Aber ich lasse mir keine Zeit für solche Gedankenspiele, ich eile durch die Behörde, damit ich rechtzeitig das Zimmer für meinen Termin finde. Wie ich schnell merke, war die Hektik völlig unnötig: Eine Viertelstunde zu früh stehe ich vor der gesuchten Tür. Ich klopfe trotzdem und strecke kurz den Kopf in den Raum. Es ist ein Zweierbüro. Eine freundliche junge Frau sagt: »Ich rufe Sie gleich auf.« Sie ist meine dritte Sachbearbeiterin. Die erste, Frau Mayer, war für die Jobberatung zuständig. Die zweite, deren Namen mir nicht mehr einfällt, kümmerte sich um meine »persönliche Arbeitslosenmeldung« und diese nun wird meinen Antrag auf Arbeitslosengeld annehmen.
Aber davor muss ich erst einmal brav meine Viertelstunde auf einem roten Metallsitz im Gang vor ihrer Tür absitzen. Ich starre viel auf den Teppich, der schon morgens um 9 Uhr unglaublich dreckig ist, und von dessen braunem Muster eine fast hypnotisierende Wirkung ausgeht. Zwischendurch läuft ein Mitarbeiter eifrig von Tür zu Tür. Dann öffnet eine junge Mitarbeiterin mit rot geschnürten Lackstiefeln ihre Zimmertür. Sie arbeitet bei Musik und beschallt nun auch den Gang mit Lady Gaga. Der Dresscode hier in der Agentur ist schon seltsam. Alles scheint erlaubt. Alte Sweatshirts, Birkenstock, rote Lackstiefel.
Schließlich werde ich aufgerufen. Ich übergebe meinen Ausweis sowie den dicken Packen mit den Formularen und warte. Und warte. Ich sitze an einem kleinen Katzentisch, leicht schräg zu meiner Sachbearbeiterin und sehe zu, wie sie schweigend die Papiere durchblättert, neu sortiert und manches mit einem
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