Gefeuert
früher einmal innehatte, ist frei geworden und irgendwer fing wohl an zu mutmaßen, ich würde einspringen.
»Nein, ich weiß davon nichts. Bei mir hat sich keiner gemeldet«, antwortete ich nüchtern. Ich fühlte in dem Moment keine Enttäuschung, dafür kam die Neuigkeit zu plötzlich. Doch seither wirbeln Erinnerungsfetzen an vergangene Bürotage durch meinen Kopf. Es scheint mir so lange her, als würde ich Super- 8-Filme anschauen.
Was mich noch immer erschreckt, ist, wie schnell man draußen und vergessen ist. Dieses ungläubige Staunen kommt wieder und wieder hoch. Selbst wenn die Kündigung aus Unternehmenssicht aus »betrieblichen Gründen« notwendigwar – gab es denn wirklich gar keine Möglichkeit, mich zu halten? Überhaupt keine? Ich kann das einfach nicht glauben. Eine Bekannte schüttelte entsetzt den Kopf, als sie von meiner Kündigung hörte: »Einfach gekündigt? Obwohl du so viele Überstunden gemacht hast?«
»Das hat damit gar nichts zu tun«, erklärte ich achselzuckend, um meine Verletzung zu überspielen. Denn ich denke in manchen Momenten genauso: Du hast dich so sehr eingesetzt, hast sogar auf Urlaube verzichtet und wenn es drauf ankommt, zählt das alles nichts. Im Nachhinein müsste ich mir sagen: »Schön dämlich warst du!« Andererseits – ich habe einfach gearbeitet, so gut ich konnte. Es ist Unsinn, das im Nachhinein aufrechnen zu wollen.
»Schluss mit der Trauerarbeit! Das Kapitel ist beendet. Unwiderruflich«, sage ich mir und stelle den Ordner mit Kündigung und Abwicklungsvereinbarung wieder ins Regal zurück. Plötzlich sehe ich meinen Bruder vor mir, wie er mit seiner riesigen Operationsnarbe auf dem Sofa liegt. »Stell dich nicht so an«, schimpfe ich mit mir. »Das war nur ein Job.«
Später telefoniere ich mit meinem Vater. Offenbar ist es mir nicht gelungen, so schnell mit meiner Entlassung abzuschließen. Denn auf einmal sage ich – im verzweifelten Versuch, ihr etwas Positives abzugewinnen: »Die Kündigung hat auch etwas Gutes. Wenn ich den Job nicht verloren hätte, wäre es mir nicht möglich gewesen, so oft zu kommen und zu helfen.«
»Das sehe ich etwas differenzierter«, antwortet mein Vater ernst. Ich kann ihn ja verstehen und kann doch auch nichts dafür, dass er auf einmal zwei erwachsene Problemkinder hat. Immerhin steht er meiner Selbstständigkeit nicht so skeptisch gegenüber wie meine Mutter. Dabei hätte er Grund dazu. Sein bester Freund ist Freiberufler und arbeitet – trotz Rentenalters – noch immer. Er ist in die typische Selbstständigenfalle getappt: Ihm fehlt die Altersvorsorge. Zwar hatte er fürs Alter gespart, doch musste er schon vor Längerem an das Geld ran, als die Auftragslage so schlecht war, dass nicht genug zum Leben hereinkam.
Selbstständige haben keine soziale Absicherung. Sie haben keine Kündigungsfrist und keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Ich kenne Selbstständige, die nicht einmal krankenversichert sind, um die Beiträge zu sparen. Wer es nicht schafft, selbst aus seinen Einnahmen für das Alter vorzusorgen, schlittert in die Altersarmut. Das trifft auf mehr als ein Zehntel aller Selbstständigen zu, hat das Mannheimer Forschungsinstitut Ökonomie und Demographischer Wandel berechnet. Viele von ihnen sind sogenannte Solo-Selbstständige, das sind Selbstständige, die keine Mitarbeiter haben – so wie der Freund meines Vaters und so wie es bei mir der Fall wäre.
Mit der Post kommt ein großes Kuvert aus der Exarbeit. Es ist die Arbeitsbescheinigung, um die ich gebeten hatte. Sie liegt formlos im Umschlag, ohne Anschreiben oder kurzen Gruß. Ich bin enttäuscht. Gerade heute könnte ich mindestens eine nette Zeile gut gebrauchen. »Was hast du denn erwartet?«, frage ich mich kopfschüttelnd. »Ein herzzerreißendes Bekenntnis, wie sehr sie dich vermissen?« Mir nur die Formulare zurückzuschicken wirkt seltsam schroff, fast unhöflich. Obwohl ich mir sicher bin, dass weniger böse Absicht als Gedankenlosigkeit dahintersteckt, bin ich geknickt.
Als ich die Bescheinigung zu den anderen Unterlagen lege, die ich für den Antrag auf Arbeitslosengeld brauche, fällt mir auf, dass ein Formular fehlt. Eine weitere Bescheinigung, diesmal von der Krankenkasse. Sofort rufe ich bei der Hotline der Arbeitsagentur an. Die Nummer kenne ich inzwischen auswendig. Wieder begrüßt mich der Telefonroboter, der heute besonders laut und unangenehm scheppernd klingt. Die Stimme der Mitarbeiterin, die sich danach persönlich meldet,
Weitere Kostenlose Bücher