Gefeuert
die gerade erst ihren Job verloren haben, wie ich ja aus dem Merkblatt weiß. Wer eine – nach Ansicht der Arbeitsagentur – »zumutbare« Arbeit ablehnt, muss mit Sperrzeiten rechnen: Als Strafe wird das Arbeitslosengeld bis zu 12 Wochen lang nicht gezahlt. Das ist noch nicht alles. Wer der Arbeitsagentur mehrmals Anlass zu Ärger gibt und deswegen auch mehrmals »bestraft« wird, muss mit dem kompletten Verlust des Arbeitslosengelds rechnen. »Bitte bedenken Sie«, steht fett gedruckt im Merkblatt, »Ihr gesamter Leistungsanspruch erlischt, wenn Sie Anlass zum Eintritt von Sperrzeitenmit einer Gesamtdauer von 21 Wochen oder mehr geben (z. B. zwei Sperrzeiten von je 12 Wochen Dauer). Auf den Grund für die einzelnen Sperrzeiten kommt es dabei nicht an.«
Noch schärfer sind die Regeln für Arbeitslose, die das Arbeitslosengeld II, also Hartz IV, beziehen. Für sie gibt es ein 7 2-Seiten -dickes »Merkblatt«. Hier heißt es dann auf Seite 18: »Als Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende sind Sie verpflichtet, jede Arbeit anzunehmen, zu der Sie geistig, seelisch und körperlich in der Lage sind.«
Was passiert, wenn ein Hartz-I V-Empfänger eine »zumutbare« Arbeit ablehnt, steht im Kapitel 15 unter der Überschrift »Sanktionen«: »Das Gesetz sieht bei pflichtwidrigem Verhalten unterschiedliche Folgen (Sanktionen) vor. Die Leistung kann danach vermindert werden oder ganz entfallen.« In einem »ersten Schritt« wird das Arbeitslosengeld um 30 Prozent gekürzt. Bei »wiederholten Pflichtverletzungen« wird das Geld erst um 60 Prozent gekürzt, bei weiterer Pflichtverletzung entfällt das Geld »vollständig«. Diese Sanktionen gelten immer für einen Zeitraum von drei Monaten – »auch wenn das Verhalten, mit dem eine Pflicht verletzt wurde, nicht so lange andauert«.
Arbeitsmarktexperten zufolge sind diese Zumutbarkeitsregeln dafür verantwortlich, dass in den vergangenen Jahren in Deutschland ein Niedriglohnsektor mit Armutsjobs entstanden ist. Die Grenze zum Niedriglohn liegt bei zwei Dritteln des Durchschnittseinkommens, das entspricht in Westdeutschland knapp zehn Euro die Stunde. Die durchschnittlich gezahlten Niedriglöhne sind aber deutlich niedriger, in Westdeutschland sind es nur etwa sieben Euro. Wer für so wenig Geld arbeitet, verdient nicht genug, um zu überleben. Um über die Runden zu kommen, müssen die Niedriglohnbezieher zusätzlich Hartz IV beantragen. Nach einem Bericht des Deutschen Gewerkschaftsbunds werden Ende 2009 mehr als 1,3 Millionen Erwerbstätige ergänzend Hartz IV erhalten – das sind 40 Prozent mehr als im Jahr 2005. Nach DG B-Berechnungen summiert sich das für den Staat auf Kosten von vier Milliarden Euro jährlich. Genau genommen subventioniert er damit den Niedriglohnsektor.
Später am Abend hindert mich der kleine feine Herr am Einschlafen. Mir fallen lauter Jobs ein, die mir die Arbeitsagentur vermitteln könnte. Ich stehe wieder auf und laufe im Pyjama ins Wohnzimmer zu Johannes, der lesend auf der Couch sitzt.
»Das Schrecklichste wäre für mich, wenn ich wieder kellnern müsste. Bitte, ich will nie wieder im Café bedienen müssen«, sage ich unvermittelt völlig verzweifelt zu meinem Mann.
Er sieht von seinem Buch auf und mich über seine Lesebrille hinweg an. »Das muss du nicht. Das verspreche ich dir. Eher gehe ich auf den Bau.«
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Freigestellt
Meine Elternzeit ist vorbei. Von heute an wollte ich eigentlich wieder ins Büro gehen, doch ich bin ja jetzt freigestellt. Ab sofort werde ich von meinem Arbeitgeber bis zum Ende meiner Kündigungsfrist fürs Nichtstun bezahlt.
Das ist weniger angenehm, als es klingt. Es setzt mich unter Zeitdruck. Die Monate vergehen so schnell, sie rasen geradezu auf die Arbeitslosigkeit zu. Das macht mich nervös, alles flattert in mir.
Heute nicht in die Exarbeit fahren zu dürfen, macht mich auch melancholisch. Ich hole meine Abwicklungsvereinbarung hervor, sie ist ja so etwas wie der Abschiedsbrief meines Arbeitgebers, um sie ein letztes Mal zu lesen. Ich erschrecke über die Formulierung, dass ich »unwiderruflich« freigestellt bin. Es macht deutlich: Es gibt keinen Weg zurück.
Gestern rief mich eine Kollegin an.
»Und? Kommst du wieder?«, fragte sie mich.
Ich wunderte mich über ihre Frage. »Nein, mir wurde doch gekündigt«, antwortete ich, obwohl sie das doch bereits seit Langem weiß. Es stellte sich dann heraus, dass die Gerüchteküche brodelte. Eine Position, die ich
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