Gefeuert
roten Edding markiert. Dann beginnt sie, Eingabefensteram Computer auszufüllen. Ich bin gespannt, ob sie etwas zur Abfindung sagt oder zum fehlenden Elterngeldbescheid. Aber nein, kein Ton. Ich fühle mich wie ein Kind, das nachsitzen muss, während die Lehrerin Arbeiten korrigiert. Ein kurzer Small-Talk-Versuch von mir (»Schön, dass hier die Sonne reinscheint«) wird mit einem kurzen Lächeln und Schweigen quittiert. Also halte ich die Klappe. Nach etwa zwanzig Minuten wendet sie sich mir zu.
»Ich habe jetzt alles, was ich brauche. Der Bescheid wird Ihnen dann in zwei bis drei Tagen zugesandt.«
Ich wundere mich zwar, dass sie gar keine Fragen hatte und mein Termin so »schweigend« ablief. Es war, als hätte sie mich als Person gar nicht wahrgenommen. Da saß nicht Julia Berger auf ihrem Stuhl, sondern nur eine Nummer, austauschbar. Aber natürlich bin ich froh, so schnell wieder draußen zu sein. Dass ich den Bescheid schon in ein paar Tagen erhalte, hätte ich gar nicht erwartet. Ich sollte mich langsam an das Tempo der Behörde gewöhnen.
Auf dem Weg zum Ausgang sehe ich mir die Plakate an. Die Wände sind voll mit bunten Zetteln, manche sind frisch ausgedruckt, andere schon vergilbt. Mal wird für Jobs im Ausland geworben – seltsamerweise gerade für die Berufsgruppen, die in Deutschland rar werden: Erzieher und Ärzte. Mal informieren Zeitarbeitsfirmen über ihre Ausschreibungen. Im Eingangsbereich steuere ich die Tafel »Veranstaltungen aktuell« an. Es gibt nur ein Poster. Es hat die Überschrift »Terrorismus: Verdächtige gesucht«.
Zwei Tage später erhalte ich tatsächlich schon Post von der Arbeitsagentur. Aber sie ist wenig erfreulich: Die Sachbearbeiterin hat mir eine Sperrzeit verpasst! Zum Beginn meiner Arbeitslosigkeit wird mir das Arbeitslosengeld eine Woche lang gestrichen.
»Sehr geehrte Frau Berger«, schreibt mir die Sachbearbeiterin, »ich muss prüfen, ob eine Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitssuchmeldung eingetreten ist. Eine Sperrzeit tritt ein,wenn Sie ohne wichtigen Grund Ihrer Pflicht zur frühzeitigen Arbeitssuchendmeldung nicht nachgekommen sind. Sie waren verpflichtet, sich innerhalb von 3 Tagen, nachdem Sie von dem Ende Ihres Arbeitsverhältnisses erfahren haben, persönlich oder telefonisch bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden (§ 38 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – SGB III).« Außerdem lese ich den fett gedruckten »Hinweis«, dass ich Arbeitslosengeld II für die Sperrzeit beantragen darf, falls mein Lebensunterhalt nicht gesichert ist.
Das ist doch irre! Ich habe mich schließlich Monate zu früh gemeldet! Was soll das denn jetzt? Ich wurde sogar mehrmals darauf hingewiesen, dass ich außerhalb der Frist sei. Ich verstehe das nicht. Können die Mitarbeiter tatsächlich nicht auf meinen Stammdatensatz zugreifen, der beim ersten Telefonat angelegt wurde? Oder toppt die 3-Tage -Regel die 3-Monats -Regel? Oder bringe ich alles durcheinander, weil ich so früh dran war?
Ich lese § 38 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – SGB III nach und bin beruhigt. Er beginnt mit dem Satz: »Personen, deren Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis endet, sind verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden.« Sofort setze ich einen Brief an die Arbeitsagentur auf, kopiere das erste Schreiben, das ich von der Agentur erhalten habe und das das Datum nennt, zu dem ich erstmals angerufen habe, und fülle das Formular meiner »Anhörung« aus. Mal sehen, was passiert.
Wieder zwei Tage später liegt der Bewilligungsbescheid im Briefkasten. Auf dem Weg zum Spielplatz reiße ich ihn auf. Ich halte sechs Seiten voller Tabellen, Paragrafen und Erläuterungen in den Händen. Sofort fängt meine linke Schulter an zu schmerzen. Das scheint meine Art zu sein, auf diese schreckliche Behörde zu reagieren. Die Sperrfrist ist noch drin. Eine Woche werde ich kein Arbeitslosengeld erhalten. In dieser Zeit werde ich weder kranken- noch rentenversichert sein, muss die Beiträge also privat zahlen. Der Rest des Bescheids ist zu kompliziert, um ihn auf einen Blick zu erfassen.
Ich beuge mich am Abend noch einmal in Ruhe über den Schrieb. Das macht es nicht besser. Ich verstehe zu vieles nicht. Warum wird das Arbeitslosengeld nur »vorläufig« bewilligt? Warum ist der Betrag niedriger als das Elterngeld, beides sollte doch bei 67 Prozent des Nettoeinkommens liegen? Warum schwankt die Höhe von Monat zu Monat?
Weitere Kostenlose Bücher