Gefeuert
kommentiert Johannes meine Unruhe. »Ich würde da ganz locker hingehen. Du willst den Job doch sowieso nicht.«
»Ja, schon«, stimme ich halbherzig zu.
»Ich ziehe nicht in dieses Kaff!«, sagt er bestimmt.
»Ich weiß, ich auch nicht«, lenke ich ein.
Dennoch will ich das jetzt durchziehen. Weiß der Teufel, warum. Also arbeite ich weiter an meiner Bewerberpersönlichkeit. Ich kaufe mir einen DIN-fähigen Anzug – beziehungsweise das, was ich mir darunter vorstelle: eher dezent – und bereite mich auf den Termin vor. Ich lese alles, was ich über das Unternehmen finden kann. Ich weiß, wann es gegründet wurde. Ich kenne das Leitbild und das Bekenntnis zur Frauenförderung. Ich versuche, die Hierarchien und Organisationsstrukturen nachzuvollziehen, und lerne die Namen der Ansprechpartner und der Top-Manager auswendig.
»Sehr gut machen Sie das, Frau Berger«, lobt mich dafür Frau Mayer im Ohr, mein Arbeitslosengewissen.
Und ich bereite mich auf typische Fragen vor wie: »Was sind Ihre Stärken und Schwächen?«, »Warum sollten wir Ihnen diesen Job geben?«, »Warum möchten Sie diese Position?«, »Was möchten Sie bei uns erreichen?« Ich trage diese Fragen in Gedanken mehrere Tage mit mir herum, und wie von selbst kommen mir nach und nach die Antworten. Die Frage nach den Schwächen finde ich am schwierigsten. Hier will doch kein Arbeitgeber hören »Ich bin ein Pedant« oder »Ich bin eine unstete Natur und halte es nirgendwo länger als ein halbes Jahr aus«. Die Kunst ist es, ehrlich zu sein, ohne Negatives zu verraten. Ich entscheide mich für »Ich bin ungeduldig«, mit der Erklärung, wie ich mit dieser Schwäche umgehe und was ich schon gelernt habe.
Am Vorabend des Termins bemerke ich einen Stimmungsumschwung. Plötzlich habe ich richtig Lust auf das Vorstellungsgespräch. Die negativen Gefühle und die Unsicherheit sind weg. Meine Vorbereitungen haben anscheinend geholfen, mich zu motivieren. Ich will jetzt da hin. Ich will das Unternehmen kennenlernen, mehr über die Stelle erfahren, zeigen, was ich draufhabe.
Am nächsten Tag stehe ich um halb sechs auf. Ich habe einen langen Weg vor mir. Doch ein ruhiges Frühstück ist nicht drin. So schlaftrunken Ella noch ist, so wach sind schon ihre Sensoren für Ungewöhnliches.
»Wo fährst du denn hin?«, fragt sie müde. Mist, ich habe sie aufgeweckt.
»Ich habe einen Termin«, antworte ich ausweichend und will mich in die Küche verziehen. Warum sollte ich sie jetzt damit beunruhigen, dass ich mich in einer anderen Stadt bewerbe?
Aber da ruft Johannes aus dem Schlafzimmer: »Sie hat ein Vorstellungsgespräch, irgendwo ganz weit weg.« Na, danke, Johannes. Sehr feinfühlig. Manchmal könnte ich meinen Mann …
Wie von der Tarantel gestochen rennt Ella im Schlafanzug hinter mir her. »Ich WILL aber nicht wegziehen!!!«, ruft sie entrüstet.
Ich habe Mühe, sie zu beruhigen. Schließlich akzeptiert sie, dass ich quasi nur »zur Übung« hinfahre. Gut findet sie das aber nicht.
»Das ist doch gemein, nur zur Übung hinzufahren«, kritisiert sie mich.
»Das ist überhaupt nicht gemein«, mischt sich Johannes wieder ein. »Wenn sie ihr 10 000 Euro im Monat zahlen und sie das in Teilzeit im Home-Office machen kann, sagt sie natürlich zu.«
Na klar, denke ich mir, Teilzeit und 10 000 Euro im Monat … Aber ich halte mich jetzt raus. Ich muss los.
Unterwegs lasse ich mir noch einmal meine Antworten auf mögliche Fragen durch den Kopf gehen und durchforste die Tageszeitung nach irgendwelchen relevanten Nachrichten. Trotzdem bleibt viel Zeit, aus dem Fenster zu sehen. Ich erinnere mich an die Bewerbungsgespräche, die ich nach meinem Studium hatte.
Einmal saß ich einer Psychologin gegenüber, die mir erklärte, dass es in ihrem Unternehmen selbstverständlich keine Arbeitsverträge gäbe. Alle würden »auf Vertrauensbasis« zusammenarbeiten. Sie schien an mir sehr interessiert zu sein, hielt mich jedoch wochenlang hin. Schließlich kam ein langer, von Hand geschriebener Brief. Darin erklärte sie mir, dass sie sich nun doch gegen mich entschieden habe. Ich sei nun mal ein »ernsthafter, nachdenklicher Mensch«, der Job, den sie zu bietenhabe, aber doch eher »oberflächlich«. Ein anderes Mal landete ich bei einem kettenrauchenden Workaholic. Das Erste, was er sagte, war: »Sie sehen ja ganz anders aus als auf dem Foto!« Was mich in seinen Augen disqualifizierte. Unglaublich war auch das Vorstellungsgespräch, bei dem ich, einer Inquisition
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