Gefeuert
Gespräch hat in angenehmer Atmosphäre stattgefunden. Ich habe mich gut geschlagen, musste bei keiner Frage passen.
Auf der Zugfahrt nach Hause ist mir eigentümlich zumute. Es ist, als böte sich ein zweites Leben an. Ein ganz anderer Job, eine ganz andere Stadt. Seltsam.
Doch je länger das Gespräch zurückliegt, umso unsicherer werde ich, ob es wirklich so gut lief. Auf einmal fällt mir auf, was ich gar nicht gesagt habe oder nicht so gut gesagt habe. Ich bilde mir ein, dass es mich nicht wirklich stört. Ich denke mir: Es ist doch sowieso besser, sie nehmen dich nicht. Andererseits war es so nett und die Position ist wirklich interessant. Hoffe ich insgeheim vielleicht doch auf eine Zusage? Ich weiß nicht, was ich wollen soll.
Da ruft mich mein Bruder an.
»Wie geht’s?«, frage ich ihn.
»Ich liege schon wieder in der Klinik.« Er klingt abgekämpft.
»Was ist denn los?«
»Als ich heute Morgen aufgewacht bin, waren meine Lippe und meine Hand angeschwollen. Richtig dick. Die sagen, das wäre eine Allergie, wissen aber nicht, gegen was.«
Sofort verdrängt die Sorge um meinen Bruder meine Bewerberprobleme. Um ihn abzulenken, erzähle ich ihm von meinem Vorstellungsgespräch in dem »Kaff«.
»Wieso hast du das denn gemacht?«, fragt er verständnislos.
»Ich weiß auch nicht. Aus lauter Panik, keinen Job zu finden«, gebe ich zu und schäme mich etwas dafür. Er hätte Grund zur Panik, nicht ich. Auch dem netten Unternehmen gegenüber ist es mir plötzlich unangenehm.
Als ich zwei Stunden später zu Hause die Tür aufsperre, kommt mir gleich Ella entgegen.
»Und? Nehmen sie dich?«
»So schnell geht das nicht. Da gibt es auch noch andere Bewerber. Außerdem wollen wir doch gar nicht umziehen.«
»Wenn ihr da hinzieht, bleibe ich hier! Allein!«, droht mir meine Tochter dennoch vorsorglich.
Am nächsten Vormittag leuchtet eine unbekannte Nummer auf meinem Handy auf. Ich überlege kurz, wer das sein kann – und als ich darauf komme, gehe ich nicht ran. Hilfe! Das sind sie schon. Ich will mich nicht überfahren lassen und hoffe, dass mir die Nachricht auf der Mailbox verrät, was sie wollen. Aber es ist nur eine Bitte um Rückruf. Ich werde furchtbar nervös, richtig wirr im Kopf. »Was mache ich, wenn sie mir jetzt zusagen?«, frage ich mich immer wieder. Ich habe letzte Nacht doch schon im Kopf meinen Absagebrief formuliert!
Ich schreibe mir Stichpunkte auf einen Block: Vielen Dank. Freut mich. Werde mit meinem Mann darüber sprechen. Melde mich.
Dann rufe ich zurück. Die Dame am anderen Ende der Leitung scheint sich richtig zu freuen, als sie meinen Namen hört.
»Wir möchten Sie gerne für ein zweites Gespräch einladen«, sagt sie freundlich und lacht dabei. »Jetzt sind Sie nur noch zu zweit. Sie und eine andere Bewerberin.« Es ist die Dame, die bei meinem ersten Anruf auf die Anzeige hin so erschreckend abweisend war und sich weder zu einem »Guten Tag« noch zu einem »Auf Wiederhören« herabgelassen hatte. Ich lese die ersten beiden Stichpunkte von meinem Block ab (»Vielen Dank«, »Freut mich«), und sie vereinbart mit mir einen Termin in zwei Wochen.
Nachmittags gehen Johannes und ich spazieren. Ich steheseit der eigentlich guten Nachricht noch immer neben mir und bin völlig unkonzentriert.
»Also ich hätte nichts gegen einen Tapetenwechsel«, sagt Johannes auf einmal.
»Was?«, ich falle aus allen Wolken. »Aber dein Job? Deine Kontakte?« Das ist das Letzte, was ich brauchen kann. Ein schwankender Johannes. Er muss jetzt ganz fest und klar sein, damit sich bei mir das Hirngespinst, den Job anzunehmen, nicht weiter verfestigt.
Ich nenne ihm noch einmal das Gehalt und da macht er sofort einen Rückzieher. Trotzdem überlege ich den Rest des Tages: »Was wäre, wenn …«
Am nächsten Morgen ist auf einmal die Entscheidung da. Ich stehe gerade mit der Zahnbürste in der Hand vor dem Badezimmerspiegel und sehe mir in die Augen. »Du kannst es dir gar nicht leisten, den Job anzunehmen. Das Geld reicht nie und nimmer für die ganze Familie. Johannes müsste wieder bei null anfangen. Wovon sollten wir alleine den Umzug dorthin bezahlen? Sag ab!«, schärfe ich mir ein.
Es dauert zwei weitere Tage, bis ich mich überwinden kann, die Absage zu schreiben. Ich erkläre, dass ich den Job zwar sehr gerne machen würde, dass aber meine Familie einen Umzug nicht unterstützt. Ich entschuldige mich sogar dafür. Das können sie mir nicht übel nehmen, denke ich, als ich den Brief
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