Gefeuert
war nur der Anfang einer wochenlangen Krankheitswelle, die Johannes, die Kinder und mich überkommt. Kaum ist einer gesund, wird der Nächste wieder krank. Es ist sehr anstrengend. An Arbeiten ist kaum zu denken. Auch meinen Bruder kann ich so nicht besuchen. Die Chemotherapie schwächt sein Immunsystem sehr und er muss darauf achten, sich auf keinen Fall anzustecken.
Leider erhalte ich in dieser Krankenzeit auch meine erste Absage. Sie steckt im E-Mail -Postfach zwischen Newslettern und Nachrichten meiner Auftraggeber. Der Betreff lautet »Ihre Bewerbung«.
»Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Entscheidung zwischenzeitlich auf einen Mitbewerber gefallen ist«, lese ich.
Das trifft mich sehr. Sie haben mich nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Entrüstung mischt sich unter meine Enttäuschung. Außerdem empfinde ich es als unhöflich,eine Absage per E-Mail zu versenden. Zwar war auch die Bewerbung damals online gewünscht. Aber nicht mal einen Brief zu schreiben, da scheint ihnen ein Bewerber sehr wenig wert zu sein.
Vielleicht, denke ich auf einmal, habe ich auf die Stelle doch nicht so gut gepasst. Andererseits weiß ich, dass ich den Anforderungen gewachsen gewesen wäre. Eher war ich, nein:
sicher
war ich »überqualifiziert«. Als ich mich bewarb, hielt ich das für ein Pfund, mit dem ich wuchern könnte. Vielleicht bewahren sie meine Unterlagen auf, falls einmal eine passendere Stelle frei wird, war mein Hintergedanke. Und jetzt erhalte ich nichts als eine Absagemail. Ich fühle mich abgelehnt. Ob Frau Mayer doch recht hatte mit ihrer Aussage »Die Unternehmen wollen keine Mütter«? Das kann doch nicht sein! Ich versuche die Absage zu verdrängen und mich meiner Arbeit zu widmen. Aber es klappt nicht. Also stehe ich auf und suche Johannes, den ich mit dem Kleinen in der Küche vermute.
»Ich habe eine Absage bekommen«, werfe ich ihm hin.
»Von wem?«
»Von einer Firma, bei der ich mich schon vor Wochen, ach: Monaten, beworben hatte. Weiß nicht, ob du dich noch daran erinnerst.«
»Hast du dich auf eine Anzeige beworben?«
»Ja.«
»Das kannst du vergessen. Da melden sich 200 Leute.«
Ich gebe ihm recht. Zwar hat er keine Erfahrung damit, weil man sich in seinem Beruf nicht über Anzeigen bewirbt, aber natürlich ist so die Gefahr größer, in der Menge unterzugehen, als über einen persönlichen Kontakt. Trotzdem bin ich getroffen. Ich frage mich, warum ihnen meine Unterlagen nicht gefallen haben.
Nach ein paar Minuten fragt Johannes: »Per Mail?« Offenbar wundert er sich, wo ich so früh am Tag plötzlich die Absage herhabe.
»Ja.«
»Ich hasse Mails«, schimpft er und geht aus dem Zimmer.»Unpersönlicher Mist«, murmelt er und dreht sich noch einmal um.
»Schreib doch zurück. Schreib: Das muss ein Irrtum sein. Sehen Sie sich doch nur einmal meine Unterlagen genau an!«
Die Idee finde ich super. Aber ich werde nicht zurückschreiben. Das muss man sich leisten können und ich kann es mir noch nicht leisten, finde ich. Erst, wenn mir ein neuer Job sicher ist oder mir zumindest der Gründungszuschuss bewilligt wurde.
In Berlin haben vor einigen Jahren eine Ethnologiestudentin und ein Kulturwissenschaftler gemeinsam eine »Absage-Agentur« gegründet. Sie drehten den Spieß um und forderten Jobsucher auf, Absagen auf Stellenanzeigen zu schreiben, auf die sie sich gar nicht bewerben wollten. »Wir freuen uns über jede Absage, die Sie schreiben«, steht auf der Webseite des Projekts www.absageagentur.de, auf der auch fertige Formulierungen angeboten werden. Zum Beispiel:
»Sehr geehrte Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Ausschreibung oben genannter Stelle. Nach sorgfältiger Prüfung Ihres Angebotes muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ich die angebotene Stelle nicht antreten werde. Ich versichere Ihnen, dass meine Entscheidung keine Abwertung Ihrer Person oder Ihres Unternehmens bedeutet, sondern ausschließlich auf meine Auswahlkriterien zurückzuführen ist. Ich bedauere, Ihnen keine günstigere Nachricht geben zu können und wünsche Ihnen und Ihrer Firma für die Zukunft alles Gute.«
Seit meiner Zusage in der Exarbeit sind schon ein paar Wochen vergangen, ohne dass ich wieder etwas gehört hätte. Heute bleiben mir noch drei Tage bis zur Arbeitslosigkeit. Nie hätte ich gedacht, dass es tatsächlich so weit kommen wird. Immer bin ich davon ausgegangen, dass davor schon alles wieder gut wird, dass sich alles einrenkt. Jetzt droht der Albtraum,
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