Gefeuert
arbeitslos zu sein, Wirklichkeit zu werden – und ich kann nichts dagegen tun. Nichts, außer Bewerbungen zu schreiben und all dieandere Gekündigtenarbeit zu erledigen und fleißig an meinen Aufträgen zu arbeiten.
Heute sitze ich deswegen schon früh am Schreibtisch, doch sie kommen mir alle zuvor. Schon um fünf vor neun klingelt das Telefon. Es meldet sich eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit. Ich bin überrascht und meine Gedanken rattern los. Ich überlege, ob das ein Kontrollanruf sein soll. Wollen sie überprüfen, ob ich dem Arbeitsmarkt auch wirklich »zur Verfügung stehe«, wie das im Behördendeutsch heißt? Aber dafür ist es eigentlich zu früh, noch bin ich ja auf dem Papier angestellt.
»Sie sind bei uns arbeitssuchend gemeldet, Frau Berger«, sagt sie. »Zurzeit sind Sie ja noch in Berufspraxis. Hat sich schon etwas bei Ihnen getan?«
Nun habe ich eigentlich genügend Erfahrung mit dieser Frage. Seit mir gekündigt wurde, verfolgt sie mich. Dennoch setzt sie mich immer wieder unter Rechtfertigungsdruck. So auch heute. Sie kommt zu überraschend und dann auch noch von der Bundesagentur für Arbeit.
»Ich hatte ja damals schon beim Termin mit meiner Jobberaterin gesagt, dass ich mich selbstständig machen möchte, wenn die Bewerbungen nichts fruchten«, rechtfertige ich mich.
»Sind Sie da schon weitergekommen?«, fragt sie interessiert. Es klingt hoffnungsfroh.
»Ja, den Businessplan habe ich schon gemacht. Jetzt muss ich noch zum Finanzamt.«
»Dann werde ich das so vermerken«, beschließt sie. »Rufen Sie einfach wieder an, wenn Sie so weit sind.«
Nach dem Telefonat ist mir unangenehm zumute. Es ist mir nicht recht, dass die Behörde einfach so bei mir zu Hause anruft und quasi unangemeldet bei mir im Wohnzimmer steht. Ich nehme an, dass das ein Standardanruf war. Wahrscheinlich haben sie eine Datenbankabfrage eingerichtet und der Computer spuckt jeden Tag Listen aus mit den Namen derjenigen, die in drei Tagen arbeitslos werden.
Vielleicht wollen sie sich so vergewissern, dass wir Arbeitslosen in spe auch nicht vergessen, uns zu bewerben und Respektdavor bekommen, mit welch strenger Behörde wir es zu tun haben. Ich fühle mich wie ein kleines Kind behandelt. Und ich ärgere mich, dass ich so entgegenkommend eifrig war. Überhaupt, was hat sie jetzt da wohl genau »vermerkt«? Ich nehme an, sie meint damit, dass sie einen Eintrag in meinem Stammdatensatz vornehmen wird. Es wäre interessant, den einmal selbst zu lesen. Im »Merkblatt für Arbeitslose« steht, dass ich ein Recht auf Auskunft habe. Ich nehme mir vor, davon Gebrauch zu machen, sobald die ganze Geschichte vorbei ist und ich mit der Agentur nichts mehr zu tun habe. Davor ist es mir zu heikel. Sicherlich würde eine solche Anfrage die Mitarbeiter zu einem neuen »Vermerk« verleiten: »schwierig, hat komische Ideen, will ihren Stammdatensatz lesen.«
Kaum sitze ich an meinem Schreibtisch, klingelt schon wieder das Telefon. Diesmal ist eine Dame meiner Bank am anderen Ende der Leitung.
»Ich rufe wegen des hohen Betrags auf dem Girokonto an«, erklärt sie. Sie meint meine Abfindung, die mir vor ein paar Tagen überwiesen wurde. Ich hatte noch gar nicht damit gerechnet. Eigentlich sollte man meinen, dass es Freudensprünge auslöst, wenn man plötzlich einen Haufen Kohle auf dem Konto hat. Das ist bei mir gerade aber nicht der Fall. Im Gegenteil. Es zeigt mir, dass das Ende meines Arbeitsverhältnisses unwiderruflich naht, und das macht mich nervös. Schließlich kann ich das Geld nicht einfach verbraten, und toll anlegen kann ich es auch nicht. Ich muss es als Reserve zur Seite legen, falls wir in den kommenden Monaten darauf zurückgreifen müssen, was mehr als wahrscheinlich ist.
»Besteht Beratungsbedarf?«, schnulzt sie betont höflich. So nett sind sie sonst nicht, wenn ich am Bankschalter etwas erledigen muss.
»Nein danke. Der Betrag wird leider nicht lange auf dem Konto bleiben«, antworte ich ausweichend. Wenn mir meine Bank »Beratung« anbietet, schrillen bei mir alle Alarmglocken. Erst kürzlich hat die Gewerkschaft ver.di eine Studie veröffentlicht, für die 3800 Bankberater verschiedenster Institute anonym überihren Alltag erzählten. Sie stehen unter hohem Erfolgsdruck und erhalten sogar Vorgaben, wie viele Produkte und welche sie verkaufen müssen – ganz egal, welche Anlagevorstellungen der Kunde hat. Viele geben zu, deswegen Kunden mit schlechtem Gewissen Anlagen aufzuschwatzen, die
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