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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Sylva
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leichter werden, und nicht mehr die Kraft haben, dich zu ängstigen.
    Es gibt Kranke, denen der Schlaf völlig geraubt ist, und die sich so daran gewöhnen, nicht zu schlafen, daß sie später ihre schlaflosen Nächte mit zu ihren besten und tiefsten, und oft sogar freudigsten Stunden rechnen. Dazu gehört aber mehr Mut als du es glaubst, liebe Seele, dazu gehört eine große Kraft des Geistes, der wiederum den Körper auf seiner Marterstatt liegen läßt, und währenddem die höchsten Höhen erreicht mit unnachahmlichem Fluge. Das ist der Vorteil schwerer Krankheit, daß sie uns oft von uns selbst frei macht, ja, daß wir den augenblicklichen Sorgen entrückt werden durch eine Art von ferner Gleichgültigkeit, durch das Nichtmehrkönnen, nachdem wir uns zu sehr gequält haben. Oft kommt die Krankheit wie eine Erlösung und macht die Nächte hell. Warum liegst du still, wenn du es nicht mußt, wenn du die Glieder bewegen, dein Stübchen hell machen und arbeiten kannst?
    Das ist die beste Art, die Dunkelheit zu überwinden: durch Geistesschätze, die man sich aneignet, oder die man andern schenken will. Eine Stunde Arbeit ist oft genug, um guten Schlaf hervorzubringen. Wer sich nicht gewöhnt hat, Abends zu arbeiten, der ist seines Schlafes viel sicherer. Man gehe um neun Uhr schlafen, und stehe um drei Uhr auf, und gewiß wird der Schlaf ein viel gesünderer werden. Die meisten Menschen aber lassen sich durch die Erregung des Tages verleiten, zu glauben, sie seien Abends frischer und setzen sich zur Arbeit, wenn das Gehirn müde ist und die Nerven abgespannt sind, anstatt erst zu ruhen und dann zu arbeiten. Die Stille der Morgenstunden ist oft viel größer als die des Abends, zumal in einer Stadt, wo das Leben bis tief in die Nacht weiter hastet, und die Morgenstunden vor Sonnenaufgang die verhältnismäßig stilleren sind, jedenfalls ist man da vor Störungen am sichersten. Kein Mensch denkt daran, den andern vor Sonnenaufgang und noch recht lange nachher aufzusuchen.
    Das Dunkel ist unser Freund, wenn du hell bist, Seele. Darauf kommt es allein an! Du bist aber in Nacht gehüllt und klagst die Nacht auf der Hemisphäre an, auf der du wohnst,vergessend, daß es immer noch auf der Erde sehr hell ist.
    Es ist sonderbar, daß wir das Licht so anbeten, als wüßten wir, daß es Leben ist.
    Wir sprechen von der Todesnacht, weil es vor unsern leiblichen Augen dunkel wird im Sterben, und wissen nicht, ob uns das wahre Licht aufgeht. Laß einmal des Gedankens ganze Leuchtkraft herein, liebe Seele, dann wirst du erfahren, was in dir ist. Du weißt es nicht, so lange du dir gestattest, in Dunkelheiten zu tasten. Alles ist Nacht in dir, dein Wollen, deine Erkenntnis, deine Hoffnung, deine Liebe, alles, denn an allem hast du gelitten oder leidest noch. Da willst du gar keine Helle mehr, weil du meinst, die Helle sei noch grausamer. Kommt die Nacht, so stirbst du vor Angst, und kommt der Morgen wieder, so willst du verzweifeln, daß ein neuer Tag anbricht: Du liegst hilflos vor dir selbst da, liebe Seele, und kannst nicht den Blick erheben, daß du über deinen Bettrand hinaussiehst und begreifst, wohin du geführt werden sollst. Es ist so dunkel in dir, daß du nicht mehr erkennen kannst, wo der einzige Lichtstrahl herkommen könnte, der dich erleuchten würde,ließest du ihn nur herein. Siehst du, liebe Seele, deine Einsamkeit in dieser Stunde ist sehr groß, aber doch nicht so groß, als du denkst, denn viele wachen mit dir und wissen nur nicht von deiner Nacht. Es würde dich auch kaum trösten, zu denken, wer sonst noch leidet und nicht schlafen kann. Es tröstet dich aber vielleicht, zu denken, daß mancher über der Dunkelheit steht, daß er die Nächte kennt, die dich entsetzten, und daß er sie in Helle verwandelt hat. Wenn man einen kühnen Schwimmer das andere Ufer erreichen sieht, so faßt man frischen Mut und hofft, ebenso große Kraft zu haben. Und man hat sie auch, wenn man ihr nur vertraut. Es hat sich schon manch einer verlassen und elend gefühlt in der dunklen Nacht, es hat schon manch einer gedacht, den Morgen nicht mehr erleben zu können oder zu wollen, und ist heute ganz fröhlich, und blickt auf die Dunkelheiten seines Lebens mitleidig zurück, und sagt sich, daß es gut ist, daß er kein Ende gemacht, sondern von Nacht zu Nacht versucht hat, das noch zu tragen, was so unerträglich schien.
    Dem andern ist es nicht leichter geworden als dir, liebe Seele, er kennt deine Todesangstgenau, er kann die wilden

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