Gefrorene Seelen
Schussverletzungen aufweist, aber letztlich durch eine gebrochene Nase zu Tode kam. Weil der Mund mit Klebeband verschlossen war, bekam er keine Luft mehr und hat beim Versuch, dennoch zu atmen, viel Blut eingesogen.«
»Was hat die ballistische Untersuchung ergeben? Etwas über die Waffenmarke? Beretta? Glock? Irgendetwas mit neun Schuss, oder?«
»Die Mikroskopaufnahme kommt mit meinem Fax. Der Täter hat einen gewöhnlichen Colt, Kaliber 38, verwendet.«
»Das kann nicht sein, Len. Ein Colt hat doch nur sechs Schuss.«
»Wie ich bereits sagte, haben wir es hier nicht mit einem Affekttäter zu tun. Der Typ hat sich Zeit zum Nachladen gelassen, damit er noch mehr Spaß hat.«
»Das ist ja eine Bestie«, murmelte McLeod.
»Die Verletzungen im Genitalbereich wurden post mortem zugefügt. Dr. Gant zufolge hat der Täter versucht, durch Tritte dem Opfer die Hoden abzutrennen.«
»Wie im Fall Todd Curry, Chef.«
Dyson nickte zustimmend den Kopf, als ob er das auch schon gedacht hätte.
Weisman fuhr fort: »Ich habe den Ballistikern gesagt, sie sollen euch sofort anrufen, wenn sie Genaueres über die Geschossspuren wissen.«
»Gut. Vielen Dank, Len.«
»Ich bin noch nicht fertig.«
»Oh, Entschuldigung. Machen Sie weiter.«
»Die Experten für Daktyloskopie haben Teilabdrücke gefunden. Zwei Daumen.«
»Unmöglich. Die Leiche war nackt – nicht mal einen Gürtel gab es, der Abdrücke hätte aufweisen können.«
»Sie haben die Abdrücke direkt von der Leiche abgenommen.«
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Unsere Techniker hier haben nichts gefunden.«
»Wir haben ein neues Verfahren, das vergangenes Jahr auf der rechtsmedizinischen Konferenz in Tokio erstmals vorgestellt wurde: das Röntgen von Gewebe. Wir haben subkutanes Gewebe am Hals des Opfers geröntgt. Wenn man die Aufnahme innerhalb von zwölf Stunden macht, erhält man noch lesbare Abdrücke. Wie es aussieht, hat der Mörder versucht, sein Opfer zu erdrosseln – vielleicht, bevor er sich dazu entschloss, es zu ersticken. Auch dieses Bild kommt noch per Fax.«
»Len, das ist wirklich Klasse. Sagen Sie Ihrem Team: ›Gut gemacht, Jungs.‹«
»Lieber nicht. Diese Jungs waren nämlich Frauen.«
Delorme senkte den Kopf und lächelte amüsiert.
»Wisst ihr, was an der ganzen Sache zum Himmel stinkt?«, sagte McLeod, zur ganzen Versammlung gewandt. »Wir ersaufen in Spuren. Der Kerl gibt uns ein Tonband mit seiner Stimme drauf, und wir können nichts damit anfangen. Er holt sich einen runter und schickt uns seine Wichse in einem Briefkuvert, und wieder können wir nichts damit anfangen. Jetzt hinterlässt er uns seine Fingerabdrücke. Das sieht ja fast so aus, als würden wir noch auf seine Visitenkarte warten. Der hält uns doch zum Besten, und wir kommen keinen Schritt weiter.«
»Nein, wir machen durchaus Fortschritte«, widersprach Cardinal und versuchte, daran zu glauben. »Wir leisten klassische Ermittlungsarbeit, Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen. Was uns bisher noch fehlt, ist der rote Faden, das, was die einzelnen Informationen alle miteinander verbindet.«
»Den sollten wir möglichst bald finden«, sagte Dyson. »Wenn ich noch einen Anruf bekomme, der mich drängt, die OPP oder die Mounties hinzuzuziehen …«
»Die Rotröcke?« McLeod schien es persönlich zu nehmen. »Die haben hier überhaupt keine Befugnisse.«
»Sie wissen das, und ich weiß es auch. Aber würden Sie sich den Schuh anziehen, die breite Öffentlichkeit darüber in Kenntnis zu setzen?«
»Die Rotröcke würden als Erstes bloß irgendwas in die Luft jagen, Beweise fälschen oder dem falschen Richter Stoff verkaufen. Davon abgesehen weiß man nie, ob das, was sie behaupten zu tun, auch das ist, was sie tatsächlich tun. Ich sage euch, welches Problem die Rotröcke haben.« McLeod hatte sein Thema gefunden. Gewöhnlich hatte Cardinal sein Vergnügen an McLeods Tiraden, nur jetzt gerade nicht. »Ihr Problem besteht darin, dass sie pleite sind. Dass ihre Gehälter für fünf Jahre eingefroren wurden, hat sie tödlich getroffen. Sie sind pleite und halten Ausschau nach Mitteln und Wegen, mit Hilfe derer sie die Lücke schließen können. Mir wäre es lieber, sie würden mehr verdienen. Einem gut verdienenden Mountie kann man vertrauen. Aber jetzt, wo sie um jeden Dollar kämpfen müssen, taugen sie zu nichts als …«
In der Wechselsprechanlage knackte es, und Mary Flowers Stimme war zu hören. »Cardinal, die OPP ist dran. Ein Streifenwagen auf dem Highway
Weitere Kostenlose Bücher