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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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streichen musste. Mit seinen großen runden Augen und den hohen geschwungenen Brauen sah er aus, als wäre das Leben eine ständige Überraschung für ihn. Er schnallte sich einen gewaltigen Rucksack auf den Rücken, nahm den Gitarrenkoffer und trottete zu den Gepäckschließfächern. Er brauchte zwei, um sein ganzes Gepäck zu verstauen. Dann ging er, mit einer Hand seinen dünnen Parka beim obersten Knopf zusammenhaltend, zum nahen Taxistand. Er bückte sich und sprach mit einem Taxifahrer, dann strich er sich ein weiteres Mal die Haare aus dem Gesicht und stieg ein.
    Das Taxi war das letzte in der Schlange. Auf dem Parkplatz des Busbahnhofs stand nur noch ein anderes Auto: ein grauer Ford Pinto, der gleich neben der Ausfahrt parkte. Von den Neuankömmlingen aus Toronto war keiner mehr an der Haltestelle, doch als das Taxi vom Parkplatz fuhr, wartete der graue Pinto mit laufendem Motor und beschlagenen Scheiben immer noch an dem Parkverbotsschild nahe der Ausfahrt.
    Das Taxi fuhr genau vier Häuserblocks stadteinwärts, bogdann links ab und hielt vor Alma’s Restaurant, wo der junge Mann ausstieg. Im dichten Schneetreiben setzte er wie ein Hochseilartist vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Der Schnee durchnässte seine Schuhe; seine Stiefel hatte er in dem Rucksack verstaut, den er im Schließfach deponiert hatte.
    Im Restaurant war er der einzige Gast. Auf einem kleinen Fernsehgerät hinter dem Tresen lief die Direktübertragung eines Eishockeyspiels. Der bärtige, vierschrötige Kellner nahm die Bestellung an, fast ohne den Blick vom Spielgeschehen zu lösen. Als er das Essen brachte, tönte lauter Jubel und Fanfarenklang aus dem Fernseher. »Verdammt«, murmelte er. »Das war nicht so gut für die Kanadier.«
    »Ich wollte noch auf ein Bier oder so in die Stadt gehen«, sagte der junge Mann. »Können Sie mir sagen, wo sich junge Leute hier treffen?«
    »Wie jung denn? In meinem Alter?«
    »Eher in meinem.«
    »Probier’s mal im St. Charles.« Der Bärtige schwenkte die Hand wie ein Verkehrspolizist. »Von der Algonquin rechts ab, zwei Häuserblocks weiter kommst du auf die Main Street, und da ist es auf der gegenüberliegenden Seite.«
    »Danke.«
    Das Restaurant entsprach dem, was Taxifahrer üblicherweise empfahlen: kunstlederbezogene Sitzbänke, Resopaltische, Plastikblumen als Dekoration und trotz des Namens weit und breit keine Alma in Sicht. Der junge Gast saß an der Theke und sah hinaus auf die menschenleere Straße. Im roten Neonlicht des Restaurant-Schildes sahen die Schneeflocken rosa aus. Die Chancen, hier irgendetwas Spannendes zu erleben, standen eher schlecht. Trotzdem machte sich der junge Mann, nachdem er seinen Hamburger gegessen hatte, auf die Suche nach dem St. Charles.
    *
    Ältere Einwohner von Algonquin Bay erinnern sich noch an die Zeit, als das St. Charles zu den besten Hotels am Platz gehörte. Jahrzehntelang zog seine Lage an der Kreuzung von Algonquin und Main Street viele Besucher an, die im Stadtzentrum wohnen wollten, aber auch alle Touristen, die sich einen kurzen Weg zum Lake Nipissing wünschten, der vom Hotel aus nur zwei Häuserblocks weiter südlich liegt. Der Bahnhof war in weniger als fünf Minuten zu Fuß zu erreichen.
    Für Reisende aus Quebec oder Montreal war das St. Charles das erste größere Gebäude, das sie in der Stadt begrüßte. In jener frühen Epoche durfte es stolz von sich behaupten, dass es Touristen und Geschäftsleute gleichermaßen durch seinen Charme, seinen Komfort und einen vorzüglichen Service beeindruckte.
    Leider war es damit nun vorbei. Als das St. Charles nicht mehr mit den Preisen konkurrieren konnte, wie billige Hotelketten sie boten, baute man die oberen Etagen in kleine, merkwürdig geschnittene Apartments um, in denen nun hauptsächlich Durchreisende und Gestrandete eine vorübergehende Bleibe fanden.
    Vom einstigen Hotel blieb nur noch die Bar übrig, der St. Charles Saloon, dem allerdings nichts von seiner ursprünglichen Eleganz geblieben war und der nun der Schuppen ist, in dem die Jugend von Algonquin Bay das Trinken lernt. Die Geschäftsführung fragt eher nicht nach den Ausweispapieren der jugendlichen Gäste und lässt das Bier in gewaltigen Krügen ausschenken.
    Der junge Mann, der übrigens Keith London hieß, stand an der Bar, rauchte und blickte leicht unsicher, wie es Fremden eigentümlich ist, in die Runde. Der St. Charles Saloon war ein großer Raum mit zwei langen Tischreihen, an denen Cliquen von Jugendlichen unter

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