Gefrorene Seelen
viel Lärm und Geschrei ausgelassen feierten. Entlang der Wände standen kleinere Gruppen von Gästen an runden Tischen. Über der Tür neben der Theke kündete eine Inschrift, »Nur für Damen in Begleitung«, von den besseren Tagen des Etablissements. Aus der grellbunten Musikbox dröhnte ein Song vonBryan Adams. Über der Schar der Zecher hingen dichte Schwaden von Zigarettenqualm.
Keith London hatte sein Bier ausgetrunken und überlegte, ob er noch ein zweites bestellen sollte. Außer dem Hamburger hatte er seit Orillia nichts gegessen.
Die versammelte Kundschaft sah aus, als hätte sie den Zeitpunkt, zu dem man neue Gäste noch mit offenen Armen empfängt, längst hinter sich. Links neben ihm redete ein Paar hitzig über nicht anwesende Dritte. Zu seiner Rechten starrte ein Mann selbstversunken auf ein Eishockeyspiel, das ohne Ton im Fernsehen lief.
Keiths Unternehmungslust ließ merklich nach.
Er bestellte noch ein Bier. Sollte sich auch beim zweiten Bier nichts Interessantes ergeben, würde er zu dem Motel hinübergehen, das ihm der Taxifahrer empfohlen hatte.
Sein Bier war erst halb leer, als ein Mann in einem knielangen Ledermantel von der Musikbox zu ihm herüber an die Theke kam. Er drängte sich zwischen Keith und das Paar neben ihm. Der Mantel sah aus, als ließe sich darunter eine Schrotflinte verbergen.
»Ein langweiliger Laden«, sagte er und wies mit der Spitze seiner Bierflasche auf die übrige Kundschaft.
»Ich weiß nicht. Die meisten scheinen sich doch prima zu amüsieren.« Keith machte eine Kopfbewegung in Richtung Saalmitte, von wo immer neue Lachsalven herüberdrangen.
»Deppen sind immer gut drauf.« Der Mann setzte die Bierflasche wie eine Trompete an die Lippen und trank sie auf einen Zug halb leer.
Keith wandte sich etwas ab und tat so, als interessiere ihn die Musikbox.
»Eishockey. Wenn man in Kanada das Eishockey verbieten würde, würde alles zusammenbrechen.«
»Das Spiel finde ich okay«, hielt Keith dagegen. »Obwohl ich kein richtiger Fan bin.«
»Warum machen es die Kanadier mit Vorliebe wie die Hunde?« Der Mann fragte, ohne Keith dabei anzusehen.
»Weiß nicht.«
»Weil so beide das Eishockeyspiel verfolgen können.«
Keith verließ die Theke und ging zur Toilette. Als er vor einem Urinbecken stand, hörte er, wie die Schwingtür quietschend aufging und Leder knarrte. Obwohl mehrere Becken frei waren, stellte sich der Mann an den Platz direkt neben ihm. Keith wusch sich rasch die Hände und ging zurück an die Theke, wo noch ein halbes Bier auf ihn wartete.
Kurz darauf kam der Mann wieder. Diesmal wandte er der Menge im Saal den ledergeschützten Rücken zu. Keith hatte das Gefühl, der Mann beobachtete ihn im Spiegel des Barkeepers. »Ich glaube, ich hab Magenkrebs«, sagte er unvermittelt. »Irgendwas stimmt nicht da drin.«
»Das ist ja übel«, sagte Keith. Er wusste, dass er eigentlich Mitleid mit dem Typ haben sollte, doch tatsächlich fühlte er gar nichts.
Die Musikbox spielte jetzt einen alten Song von Neil Young. Der Mann schlug den Takt so heftig auf der Theke mit, dass sein Aschenbecher schepperte. »Ich habe eine Idee, was wir machen könnten«, sagte er und packte Keith plötzlich am Oberarm. »Wir könnten ans Seeufer gehen.«
»Aber da draußen dürfte es ziemlich kalt sein.«
»Das ist doch gerade das Gute. Das Seeufer ist toll im Winter. Wir könnten uns einen Sechserpack besorgen.«
»Nein, danke. Ich bleibe lieber im Warmen.«
»War ja bloß ’n Witz«, beschwichtigte der Mann, ohne seinen Griff im Geringsten zu lockern. »Wir könnten eine Spritztour nach Callander machen. Ich hab ’n CD-Player im Auto. Was für Musik magst du?«
»Oh, das ist ganz unterschiedlich.«
Aus dem Qualm und Dunst trat plötzlich eine Frau an Keith heran und bat ihn um eine Zigarette. Der Mann ließ augenblicklichKeiths Arm los und wandte sich ab. Mit einem Mal war der Bann gebrochen.
Keith bot der Frau seine Player’s Lights an. Er hätte ihr wohl nie die geringste Aufmerksamkeit geschenkt, wenn sie ihn nicht angesprochen hätte. Sie war rundlich um die Hüften und hatte fast keinen Busen. Außerdem hatte ihr Gesicht etwas Abstoßendes. Wegen einer Hautkrankheit war ihr Teint dick und glänzend und sah eher wie eine Maske aus.
»Mein Freund und ich fanden gerade, dass du interessant aussiehst. Kommst du von außerhalb?«
»Sieht man das gleich?«
»Wir dachten, dass du interessant wirkst. Trink doch ein Bier mit uns. Wir langweilen uns sonst noch zu
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