Gefrorene Seelen
Tode.«
Eigentlich egal, wie jemand aussieht, dachte Keith bei sich, das ist doch genau das, was man sich immer wünscht und was so gut wie nie eintritt: Nette Typen interessieren sich für dich. Er schämte sich, dass er wegen ihres Äußeren Vorbehalte gegen sie hatte.
Die Frau führte ihn an der Musikbox vorbei zu einem kleinen Tisch in der Ecke, an dem ein Mann von vielleicht dreißig Jahren saß und das Etikett seiner Bierflasche mit einer Andacht abkratzte, als ob es nichts Wichtigeres auf der Welt gäbe. Als sie näher kamen, blickte er auf und sagte, noch ehe sich die beiden gesetzt hatten: »Hatte ich Recht? Kommt er aus Toronto?«
»Ihr beiden seid schon erstaunlich«, sagte Keith. »Gerade mal vor einer Stunde bin ich angekommen. Aus Toronto.«
»So erstaunlich ist das gar nicht«, sagte die Frau und sah zu, wie ihr Freund Bier in drei Gläser goss. »Du siehst viel zu hip aus, um aus dieser Gegend hier zu kommen.«
Keith zuckte die Achseln. »So schlecht finde ich die Stadt gar nicht. Bloß der Typ an der Theke war ’n bisschen komisch.«
»Ja, das haben wir gemerkt«, sagte der Mann ruhig. »Wir dachten uns, es sei an der Zeit, dich zu erlösen.«
»He! Ihr habt ja Zigaretten!«
»Ich wusste nicht, wie ich dich sonst hätte ansprechen sollen«, gestand die Frau. »Ich bin sonst schüchtern gegenüber Fremden.« Ihr Freund zündete sich eine Zigarette an und bot die Packung mit einer lässigen Bewegung aus dem Handgelenk heraus an. Auch er war keine Schönheit. Er trug sein dunkles Haar nach hinten gekämmt, doch hatte er am Hinterkopf einen Wirbel, wo die Haare steil nach oben standen, so als hätte er gerade eine Punkrock-Phase hinter sich. Seine Haut war so blass, dass unter den Augen und an den Schläfen blaue Venen zu sehen waren. Die frettchenhaften Augen beeinträchtigten den Gesichtsausdruck ein wenig, und er hatte eine zusammengekrümmte Körperhaltung, eine eigentümliche Art, sich zu bewegen – er neigte sich zum Einschenken vor, bot elegant eine Zigarette an –, die Keith faszinierte. Fast schien es, als wollte er damit sagen, dass er weit wichtigere Dinge zu tun hatte, aber sich nun die Zeit nehme, seinem Gegenüber ein Glas Bier einzuschenken und eine Zigarette anzubieten. Von ihm ging ein so bezwingender Charme aus, dass Keith sich fragte, was solch einen Mann wohl mit der Frau mit dem Glasfasergesicht verband.
»Ich vergebe euch noch mal«, sagte Keith gut gelaunt. Er nippte an seinem Bier. »Ich heiße übrigens Keith.«
»Ich heiße Edie. Und das ist Eric.«
»Eric und Edie. Irre.«
Nach dem zweiten Krug Bier wurde Keith redselig. Er wusste um seine Schwäche, konnte aber dennoch nichts dagegen tun. »So eine Plaudertasche«, neckte ihn seine Freundin bisweilen. Er erzählte Eric und Edie, dass er gerade die Highschool hinter sich habe und nun für ein Jahr durchs Land reise, ehe er ein Studium beginnen wolle. Er habe schon die Ostküste gesehen und sei nun auf dem Weg nach Vancouver. Dann kam er auf das Thema Politik und Wirtschaft. Er teilte ihnen seine Ansichten über Quebec mit, ehe er sich über die Lage auf den Inseln ausließ. Mein Gott, bin ich ’ne Quasselstrippe, dachte er. Irgendjemand muss mich bremsen.
»Neufundland«, hörte er sich gerade sagen. »Mann, das ist das reinste Katastrophengebiet. Die Bevölkerung der halben Provinz ist arbeitslos, weil wir den ganzen Fisch weggefressen haben. Könnt ihr euch das vorstellen? Kein Kabeljau mehr in den Netzen! Wenn man nicht Erdöl gefunden hätte, wäre jetzt die ganze Insel arbeitslos.« Um seine Aussage zu betonen, strich er sich die Haare aus dem Gesicht. »Echt, die ganze Insel.«
Doch das Pärchen schien nicht müde, ihm zuzuhören. Edie blieb mit dem Gesicht im Schatten, vielleicht um ihren hässlichen Teint zu verbergen, und stellte ihm eine Frage nach der anderen. Eric schaltete sich hin und wieder in das Gespräch ein, erkundigte sich nach diesem und jenem, und schon kam Keith mit einer Meinung, einer weiteren Geschichte heraus. Fast so, als gäbe er ein Interview.
»Was führt dich denn nach Algonquin Bay?«, fragte Edie. »Kennst du hier jemanden? Hast du hier Verwandte?«
»Nein, meine ganze Familie ist aus Toronto, schon immer. Alles eingefleischte Anglikaner, falls ihr wisst, was ich meine.«
Edie nickte, obgleich Keith den Eindruck hatte, dass sie es nicht wirklich verstand. Immer wieder fuhr sie mit der Hand übers Gesicht oder zog ihr Haar wie einen Vorhang vor die Wange.
»Eigentlich habe
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