Gefrorene Seelen
geschossen. Du machst echt Fortschritte. Das sind keine Zufallstreffer mehr.«
Sie verstauten die Scheibe im Kofferraum von Edies rostigem Pinto und fuhren bergab zum Highway. Eric lehnte sich in die Polster zurück, als ob er zur königlichen Familie gehörte. Zwar hatte er selbst ein Auto, einen blauen, mindestens zehn Jahre alten Ford Windstar, den er perfekt in Schuss hielt, aber er benutzte ihn nur, wenn er unbedingt musste.
Edie bog beim alten Auto-Kino links ab und fuhr die kurze Strecke bis zum Trout Lake. Sie parkte beim Jachthafen, genau unter dem Schild »Parken für Unbefugte verboten«. Der zugefrorene See lag vor ihnen, völlig eben und blendend weiß im Sonnenlicht. Nur die Hütten der Eisfischer bildeten ein paar dunkle Flecken. Am öffentlichen Strand, wo man ein großes Rechteck als Eisbahn freigeschaufelt hatte, liefen Kinder Schlittschuh.
Sie überquerten den Highway und stapften den Berg hinauf. Hin und wieder schoss ein Schlitten mit Kindern an ihnen vorbei. Eric liebte es, im Freien zu sein. Manchmal wanderte er drei, vier Stunden lang bis nach Four Mile Bay und wieder zurück oder bis zum Flughafen hinaus. Edie hätte das bei Eric nie vermutet, er sah so, ja, städtisch aus. Aber die langen Wanderungen, die Berge, der Schnee und die Stille schienen seine innere Unruhe zu dämpfen. Es war eine Ehre, diese Zeit in der Natur mit ihm zu teilen.
Sie stiegen über einen Maschendrahtzaun, der fast bis zumBoden niedergedrückt war, und gingen weiter bergauf bis zum neuen Pumpenhaus. Edie war außer Atem, lange bevor sie oben ankamen und dann neben dem zugefrorenen kreisförmigen Speicherbecken standen. Ein Sportflugzeug mit Kufen statt Rädern brummte über sie hinweg und schwenkte ein in Richtung Trout Lake. Sie lehnten an dem Schutzzaun mit den Hinweistafeln, die davor warnten, im Speicherbecken zu baden oder im Winter dort Schlittschuh zu laufen. Edie konnte, keine zweihundert Meter entfernt, die Stelle erkennen, wo sie Billy LaBelle vergraben hatten. Sie hielt es für besser, das nicht zu erwähnen, es sei denn, Eric sprach es von sich aus an.
»Du verstehst zu schweigen, das schätze ich sehr«, hatte Eric einmal zu ihr gesagt. Er war den ganzen Tag lang verschlossen gewesen, und Edie hatte schon gefürchtet, er könnte sie satt haben und wollte sie und ihr Fischgesicht nicht mehr sehen. Stattdessen hatte er sie gelobt. Es war das erste Mal, dass überhaupt jemand sie für etwas gelobt hatte, deshalb hütete sie seine Worte wie einen Schatz. Nun konnte sie stundenlang mit ihm zusammen sein, ohne ein Wort zu sagen. Wenn sich trübe Gedanken einstellten oder der Hass auf ihr Gesicht aufwallte, dann verdrängte sie das und erinnerte sich an seine wohltuenden Worte. Edie konnte in tiefem Schweigen neben ihm stehen und auf die kreisförmige Eisfläche starren, und Eric schien das zu mögen.
»Ich habe Hunger«, sagte er schließlich. »Vielleicht sollte ich mir etwas zu essen besorgen, bevor ich umfalle.«
»Willst du nicht zum Abendessen kommen?«
»Ich esse lieber allein.« Er mochte es nicht, dass sie ihm beim Essen zusah. Das war eine seiner Schrullen.
»Was ist, wenn unser Gast aufwacht?« Eric hatte ihr eingeschärft, den Gast nie beim Namen zu nennen.
»Nach allem, was du ihm gegeben hast? Das glaube ich kaum.«
Edie wandte sich vom Speicherbecken ab und sah hinüber zu den Bergen und zu den Wäldern hinter Trout Lake. Die Luft roch nach Kiefern und verbranntem Holz.
»Ich wünschte, wir brauchten nicht zu arbeiten, um uns durchzuschlagen«, sagte sie. »Ich wünschte, wir könnten die ganze Zeit zusammen sein, reisen und Neues erleben.«
»Die meisten Jobs sind Zeitverschwendung. Und die Leute, Mann, wie ich die hasse.«
»Du meinst Alan.« Alan war Erics Chef. Er ließ ihm keine Ruhe, trug ihm Dinge auf, die er schon längst erledigt hatte, und erklärte ihm Dinge, die er schon längst wusste.
»Nicht nur Alan, auch Carl. Dieser schwule Sack. Und wie sie mich bezahlen – nur wegen denen muss ich in diesem Schweinestall wohnen.«
Edie wurde es allmählich richtig kalt vom Stehen, doch sie sagte nichts. Wenn er anfing von Leuten zu sprechen, die er hasste, wusste sie, was kommen würde. Bald würde es eine »Party« geben, wie Eric immer sagte. Sie hatten ihren Ehrengast schon sicher in Verwahrung. Edie bekam plötzlich Herzklopfen und verspürte den Drang, auf die Toilette zu gehen. Sie presste die Lippen aufeinander und hielt den Atem an.
»Ich meine, wir sollten den Termin
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