Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
Vom Netzwerk:
schien das Zimmer mit einem Mal voller Vogelstimmen, die in den zartesten Tönen sangen. Sonnenlicht floss wie Gold durch das Fenster herein.
    Eric packte die Leiche in einen Seesack, den er mit einem Riemenüber der Schulter trug, und dann fuhren sie mit seinem Windstar zur Shepard’s Bay, wo er ein kleines Boot gemietet hatte. Er hatte sogar für Angelzeug gesorgt. Gründlichkeit und Voraussicht gehörten zu den Eigenschaften, die Edie an ihm bewunderte. Eric, so schien es, ging nicht einmal über die Straße, ohne sich vorher einen detaillierten Plan zu machen.
    Das Boot hatte einen dreieinhalb Meter langen Aluminiumrumpf und wurde im Heck von einem dreißig PS starken Außenbordmotor angetrieben. Nachdem Eric den Motor angelassen hatte, überließ er Edie das Ruder. Während der Wind seine Haare zerzauste, saß er im Bug neben dem Seesack.
    Der Wind schien durch Edies dünne Nylonjacke zu ziehen. Auch wurde es kälter, als sie aus der Bucht hinaus auf die offene, graue Fläche des Sees fuhren. Die Wolken türmten sich zu einem dunklen Gebirge, und bald darauf wurde es dunkel, als sei es Abend. Edie folgte der Uferlinie. Bald fuhren sie an Algonquin Bay vorüber, dessen Kalksteinkirche sich weiß von der kohlschwarzen Wolkenwand abhob. Vom Wasser aus wirkte die Stadt klein, fast dörflich, doch Edie befürchtete plötzlich, einem Beobachter am Ufer könnte etwas merkwürdig vorkommen – ein Paar in einem Boot, das bei einem heraufziehenden Sturm auf den See hinausfuhr. Wenn sich nun ein anderes Boot näherte, wäre es gewiss die Polizei, die wissen wollte, was in dem Seesack steckte. Edie gab Gas, und die Wellen schlugen lauter gegen den Schiffsrumpf.
    Eric zeigte nach Westen, und Edie legte das Ruder um, so dass die Stadt in einem Bogen hinter ihnen zurückblieb. In der ganzen Wasserlandschaft war kein anderes Boot zu sehen. Eric grinste und reckte einen Daumen in die Höhe, als ob sie der Kopilot bei einem Kampfeinsatz wäre.
    Wenig später erschien am Horizont die Insel mit dem Förderturm des Schachts, der wie ein Seeungeheuer in den Himmel ragte. Edie steuerte darauf zu und nahm Gas weg. Eric beschrieb einen Kreis in der Luft, worauf Edie in einem Bogen die kleine Inselumfuhr. Außer dem Schacht gab es nichts auf der Insel, dazu fehlte der Platz. Sie hielten nach anderen Booten auf dem See Ausschau, doch sie entdeckten keines.
    Edie steuerte um eine felsige Landzunge und ließ das Boot dann ans Ufer treiben. Das Boot schaukelte so heftig auf den Wellen, dass sich Eric beim Aufstehen am Dollbord festhalten musste, um nicht ins Wasser zu fallen. Mit der Leine in der Hand sprang er auf einen flachen Uferfelsen. Das letzte Stück zog er das Boot, der Kiel knirschte über den Kieselstrand.
    »Die Wolken gefallen mir gar nicht«, sagte er. »Bringen wir es schnell hinter uns.«
    Der Seesack war schwer wie Blei.
    »Mein Gott, Katies Gewicht ist auch tot nicht zu verachten.«
    »Sehr witzig«, sagte Edie.
    »Du kannst jetzt loslassen. Ich hab sie.«
    »Soll ich dir nicht helfen, sie den Hang hochzubringen?«
    »Bleib lieber beim Boot. Ich bin gleich wieder da.«
    Edie sah zu, wie Eric mit dem Seesack auf der Schulter schwankend den Hang hinaufging. Zum Glück beobachtete sie niemand: Aus dieser Entfernung war deutlich zu erkennen, dass der Seesack eine Leiche enthielt. Das Rückgrat des Mädchens bildete eine geschwungene Linie im Segeltuch, und selbst die Unebenheiten der einzelnen Wirbel traten deutlich hervor. Zwei Erhebungen befanden sich dort, wo die Fersen gegen den Stoff drückten. Auch eine gerade harte Linie zeichnete sich ab; das war die Eisenstange, mit der Eric das Schloss vor dem Schachteingang aufbrechen wollte.
    Die ersten großen Regentropfen, die ins Boot fielen, klangen, als ob Kieselsteine auf einen Eimer trommelten. Edie mummelte sich in ihre Nylonjacke ein. Mit unglaublicher Geschwindigkeit eilten Wolken über sie hinweg. Die aufgepeitschten Wellen bekamen weiße Schaumkronen.
    Eric war seit gut zehn Minuten fort, als ein lautes Dröhnen näher kam und ein kleines Motorboot an der Spitze der Landzungeerschien. Ein Junge richtete sich auf und winkte Edie zu. Sie winkte zähneknirschend zurück. Hau ab, verdammt noch mal. Hau bloß ab.
    Doch das Boot kam tuckernd näher. Der Junge hielt sich an der Windschutzscheibe fest und rief: »Alles in Ordnung?«
    »Ja, aber der Motor hat Probleme gemacht.« Das hätte sie nicht sagen sollen, und sie bereute es auch gleich.
    Der Junge kam mit seinem Boot im

Weitere Kostenlose Bücher