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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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Angebot an französischen Büchern bekanntermaßen schmal war. Sie hatte aber ihre Hausaufgaben lieber hier gemacht, im Geruch von Papier und unter dem leisen Rascheln der Buchseiten, als zu Hause, wo ständig Übertragungen von Eishockeyspielen im Fernsehen liefen und ihr Vater lautstark seine Lieblingsspieler anfeuerte. Selbstverständlich hatte Delorme hier auch viel in den Tag hineingeträumt. Sie hatte es gar nicht erwarten können, zum Studieren anderswo aufs College zu gehen. Doch in ihrem letzten Jahr an der Ottawa University hatte sie zu ihrem Erstaunen festgestellt, dass sie Heimweh empfand. Manchmal war es schon komisch, Polizist in der eigenen Heimatstadt zu sein – sie hatte schon mehr als einen Klassenkameraden verhaftet –, aber das Großstadtleben reizte sie nicht. Sie hatte die Leute in Ottawa als kälter empfunden als alles, was ihr in Algonquin Bay jemals zugemutet werden konnte.
    In der CD-Sammlung der Bücherei gab es weder Pearl Jam noch die Rolling Stones, aber das Anne-Murray-Album war ausleihbar. Das Plastikcover war schmuddelig von Tausenden von Fingerabdrücken. Sie tütete es ein und ging zurück an die Theke.
    »Um Gottes willen, haben Sie etwas beschlagnahmt? Haben Sie Indizien gefunden?«
    »Das Anne-Murray-Album. Die anderen habe ich nicht entdeckt.«
    »Die anderen beiden Alben haben wir wohl nicht. Das Album von Pearl Jam war nie in unserem Bestand, was nicht weiter verwundert, und die Rolling Stones hatten wir früher einmal, aber das Album wurde so viel nachgefragt, dass es am Ende beschädigt oder verschlissen zurückkam und aus dem Leihverkehr gezogen wurde …« Wieder hackte sie gnadenlos auf ihre Tastatur ein. »Das war vor zwei Jahren. Aber sagen Sie mal, kann es sein, dass die Polizei nicht weiß, wie das kleine Mädchen umgekommen ist?«
    »Wie ich Ihnen schon sagte …«
    »Ja, gewiss, gewiss. Ich bin einfach unverbesserlich neugierig. Aber ich habe die Namen der Entleiher herausgekriegt.« Sie rückte ihre Brille zurecht und schaute auf einen Zettel, auf dem sie die Auskunft notiert hatte. »Das Album, das Sie da in der Hand haben, wurde von Leonard Neff, Edith Soames und Colin McGrath entliehen. An Mr. McGrath kann ich mich noch erinnern. Er benahm sich ungebührlich. Wir mussten ihn aus der Bücherei komplimentieren.«
    »Ungebührlich in welcher Hinsicht? War er betrunken?«
    »Oh, Mr. McGrath ist sicherlich alkoholisiert gewesen. Doch das entschuldigt nicht sein obszönes Verhalten. Ich war nahe daran, Ihre Kollegen zu verständigen. Meine Hand lag schon auf dem Telefonhörer.«
    »Und die anderen – Miss Soames und Mr. Neff. Können Sie sich an die auch erinnern?«
    Die Bibliothekarin schloss die Augen wie zum Gebet und sagte mit Überzeugung: »Nein, überhaupt nicht.«
    Delorme holte ihr Notizbuch hervor. »Ich brauche die Adressen der drei Personen.«
    *
    Delorme hatte die Musikläden in Algonquin Bay außer Betracht gelassen. Keiner der Titel war neu, alle drei hatten einen sehrhohen Bekanntheitsgrad, und nichts sprach dafür, dass die CDs hier in der Stadt gekauft worden waren. Cardinal hatte schließlich die Hintergrundmusik – von einer möglichen Verbindung mit Radioprogrammen abgesehen – ganz abgeschrieben. Wenn Delorme herausgefunden hätte, dass alle drei Alben im Bestand der Bücherei gewesen und alle um den 12. September herum von derselben Person ausgeliehen worden wären, dann hätte dies eine brauchbare Spur ergeben. Aber einen einzelnen Musiktitel im Bestand der Stadtbücherei von Algonquin Bay zu wissen hatte keinerlei Bedeutung. Nach sechs Jahren Sonderermittlungen wusste Lise Delorme, wie Spuren aussahen, die sich als Holzweg erweisen.
    Und doch, die Suche nach der ausgeliehenen CD verursachte ihr Herzklopfen. Die CD war immerhin etwas Handfestes; sie gab ihr die Illusion, nicht richtungslos zu ermitteln, da sie ja zu etwas führte. Im Übrigen war die CD aus der Bücherei ihre einzige Spur.
    Mr. Leonard Neff wohnte in einem modernen Bungalow in Cedarvale, einer langweiligen Ansammlung von Straßen, Höfen und Plätzen, die wie vom Reißbrett oberhalb der Rayne Street angelegt waren. In der Zufahrt war ein Hockeynetz gespannt, vor dem sich ein paar Jungen in Sweatern mit der Aufschrift »Montreal Canadiens« abwechselnd Pässe zuspielten. Der Ford Taurus, der vor der Garage stand, hatte Skier auf dem Dachgepäckträger. Offenbar waren die Neffs eine sportliche Familie. Die Fenster des Bungalows waren modern, dreifach verglast, so dass sie

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