Gefrorene Seelen
hilflose Miene Delorme gegenüber, eine Miene, die sagen wollte: Alte Leute – was soll man da machen? »Bei uns ist noch nie eingebrochen worden«, sagte sie.
»Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Lieferwagen, die in der Straße parken. Fremde, die die Gegend auskundschaften?«
»Nein, mir ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen.«
»Was? Was sagt sie? Ich will es wissen!«
»Ist schon gut, Oma! Es ist nichts!«
Delorme gab ihnen den üblichen Hinweis, Türen und Fenster stets geschlossen zu halten. Die junge Frau versprach, darauf zu achten. Delorme fühlte Mitleid: Ihr Gesicht war von einem Ekzem oder einer anderen Hautkrankheit entstellt. Die Haut sah dick aus und war an einigen Stellen so rau, als hätte man sie mit Stahlwolle bearbeitet. Die Frau war eigentlich nicht hässlich, doch die niedergeschlagene Haltung und der abgewendete Blick machten deutlich, dass sie sich so empfand. Die Wahrscheinlichkeit war gering, dass die Welt ihr noch etwas anderes als dieses demütige Leben mit ihrer betagten Großmutter bieten würde, und die junge Frau wusste das auch.
»Was sagt sie? Ich will es wissen.«
»Komm jetzt, Oma! Der Laden macht sonst zu, bis wir dort sind.«
»Ich will aber wissen, was sie sagt, Edie!«
Die Jüngere war also Edith Soames. Wenn es sich um Großmutter und Enkelin handelte, konnten sie beide diesen Namen tragen. Doch das machte keinen Unterschied. Eine einsame junge Frau hatte in der hiesigen Bücherei eine im ganzen Land überaus beliebte CD ausgeliehen, ein Album, das viele Tausende Leute gekauft, ausgeliehen oder kopiert hatten. Das war keine brauchbare Spur.
Delorme verabschiedete sich und sah zu, wie die beiden ihre schneckenhafte Wanderung Richtung MacPherson Streetfortsetzten. Es wäre so schön gewesen, wenn sie ihrem misstrauischen Kollegen von einem echten Fortschritt in der Ermittlung hätte berichten können. Doch Delorme bog mit der Gewissheit um die Ecke, dass die Arbeit eines ganzen Vormittags sie kein Stück vorangebracht hatte.
20
E ric Fraser öffnete die seitliche Klappe seiner brandneuen Sony-Videokamera. Er legte eine Kassette ein – eine von dreien aus dem Sonderangebot des Future Shop mit fünf Prozent Preisnachlass – und machte die Klappe wieder zu. Dann sagte er Edie, sie solle ganz natürlich bleiben und so tun, als ob er gar nicht da wäre, doch das schien sie nur noch nervöser zu machen.
»Warum willst du mich ausgerechnet beim Spülen filmen?«, jammerte sie. »Kannst du nicht warten, bis ich etwas Interessanteres mache?«
Sie kratzte energisch den Boden einer Bratpfanne. »Ich bin nicht mal gekämmt.«
Als ob das einen riesigen Unterschied machen würde. Er wollte die Kamera vor dem nächsten Einsatz testen. Sozusagen vor Ort. Das letzte Video war von schlechter Qualität gewesen – die schäbige alte Videokamera hatte alles ruiniert.
Er öffnete die Blende auf maximale Größe und hielt das Objektiv auf Edie, den Geschirrschrank und die Hintertür mit der angebrochenen Scheibe, durch die der Blick auf den kümmerlichen, schneebedeckten Baum fiel. Was Kameras betraf, waren die Japaner unschlagbar; die Linse war einfach Spitze. Auch der Ton sollte gut sein, das hatte Eric im beiliegenden Prospekt gelesen.
Edie fuhr mit der Flaschenbürste in einem Glas auf und ab und machte fürchterliche Sauggeräusche. Eric hätte sie dafür am liebsten geschlagen. Manchmal weiß ich nicht, warum ich mir überhaupt die Mühe mache, sagte er sich, wirklich, ich weiß es nicht. Dieser stille Kommentar begleitete Eric von morgens bis abends. Doch es war schwer, sich Edies Ergebenheit für ihn zu entziehen. So etwas hatte er vorher nicht gekannt. Und wenn sie nicht so aussah, wie er es gern wollte, dann, so sinnierte er, sollte er sie vielleicht gar nicht als Frau betrachten. Ich sollte sie als Haustier ansehen, so eine Art Reptil.
»Eric, wir haben schon einmal darüber geredet, als wir die Aufnahme von … du weißt schon.«
»Die Aufnahme, wo man sieht, wie Todd Curry das Gehirn rausspritzt. Das sind nur Wörter, Edie. Du kannst das ruhig sagen.« Er hasste es, wenn sie sich zierte.
»Wir können keinen Film von solchen Sachen machen.«
»Solche Sachen. Sprich es aus, Edie. Sprich es aus.«
»Wir waren uns doch einig, dass wir damit Gefahr laufen, geschnappt zu werden. Wir haben darüber geredet und waren uns einig.«
»Was für Sachen, Edie? Wenn du es tun kannst, dann kannst du es auch sagen. Also, was für Sachen? Ich rede nicht mehr mit
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