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Gefrorene Seelen

Gefrorene Seelen

Titel: Gefrorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giles Blunt
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traurig wirkenden jungen Frau namens Karen Steen zuhörte. Der ganze Vormittag war nicht gerade glücklich verlaufen. Zuerst hatte er im psychiatrischen Krankenhaus vorbeigeschaut, aber nur eine mürrische und verschlossene Catherine angetroffen. Er hatte seinen Besuch abgekürzt, als er merkte, dass er ihretwegen ungehalten wurde. Der erste Telefonanruf am Morgen kam von Billy LaBelles Mutter. Sie sprach unter Tränen und mit schleppender Stimme, wahrscheinlich wegen irgendeines Medikaments, das man ihr zur Schmerzlinderung verschrieben hatte. Dann rief Mr. Curry an (selbstverständlich nur aus Sorge um seine Frau), und Cardinal musste ihm gestehen, dass er der Festnahme des Täters, der Todd so grausam um sein Leben gebracht hatte, keinen Schritt näher gekommen war. Schließlich meldete sich Roger Gwynn vom
Algonquin Lode
und fragte in seiner unentschlossenen Art, ob es Fortschritte bei der Ermittlung gebe. Als Cardinal das verneinte, begann Gwynn in Erinnerungen an ihre gemeinsame Highschool-Zeit zu schwelgen, als ob Cardinal, einmal in nostalgische Stimmung versetzt, deshalb zugänglicher würde. Darauf folgten kurz hintereinander Anrufe von
The Globe and Mail,
des
Toronto Star
und von Grace Legault von Kanal Vier. Die Zeitungsfritzen waren kein Problem, aber Grace Legault hatte Wind davon bekommen, wie der Fall Margaret Fogle ausgegangen war. Stimmte es, dass die Kripo eine Zeit lang gedacht hatte, auch sie sei ein Opfer des Windigo? Und dass sie dann gesund und munter in British Columbia wieder aufgetaucht war?
    Cardinal fasste den Fall für Grace Legault zusammen: Margaret Fogle war vermisst gemeldet worden. In gewisser Hinsicht hatte sie in das Profil des Mörders gepasst. Nun, da sie wieder aufgetauchtwar, brauchte sich die Polizei von Algonquin Bay nicht weiter um sie kümmern. Der Anruf verärgerte ihn, denn damit war klar, dass jemand mit der Journalistin geredet hatte, ohne ihn zu informieren. Bei dem Gedanken, die Sache mit Dyson ausdiskutieren zu müssen, befiel ihn große Müdigkeit.
    Cardinal wollte die Zeit eigentlich für Recherchen verwenden. Er hatte mit seiner Kollegin Delorme abgesprochen, dass sie die verschiedenen Spuren getrennt verfolgten. Sie hatten die Geräusche vom Tonband noch einmal überspielt und mehrere Kopien hergestellt, um sie an Kamera- und Uhrenreparaturexperten in Toronto und Montreal zu verschicken. Delorme hatte mittlerweile sicherlich schon zwanzig Fotoreparaturwerkstätten abgeklappert, während Cardinal noch keinen einzigen Gang unternommen hatte. Stattdessen war er erst am Telefon aufgehalten worden und saß nun dieser ernsten jungen Frau gegenüber, die ihm von ihrem vermissten Freund erzählte.
    Cardinal war wütend auf Sergeant Flower, weil sie Miss Steen gesagt hatte, er würde Zeit für sie haben. Umso mehr, als er erfuhr, dass die junge Frau aus Guelph kam, einer ländlichen Gemeinde hundert Kilometer westlich von Toronto. »Wenn Ihr Freund in der Gegend von Toronto wohnt«, sagte er, »sollten Sie sich an die dortige Polizei wenden.«
    Karen Steen war eine schüchterne Frau – eigentlich noch ein Mädchen, keine neunzehn Jahre alt –, die zwischen ihren Sätzen immer wieder auf den Fußboden blickte. »Ich wollte keine Zeit mit Telefonieren vertun, Detective. Ich dachte, Sie würden mir mehr Aufmerksamkeit schenken, wenn ich persönlich vorbeikäme. Ich glaube, dass Keith hier in Algonquin Bay ist.«
    Alle jungen Frauen erinnerten Cardinal zunächst an seine Tochter, aber Miss Steen hatte – vom Alter einmal abgesehen – nichts mit Kelly gemein. Kelly war die typische Vertreterin der lässig-selbstbewussten Generation von heute, während die junge Frau, die ihm im Vernehmungszimmer gegenübersaß, eher dem Typ des netten Mädchens von nebenan entsprach. Sie trug einKostüm, das sie zu alt machte, und ein silbernes Brillengestell, das ihr das Aussehen einer Akademikerin verlieh. Ein sehr ernstes Mädchen von nebenan.
    Miss Steen blickte wieder zu Boden – auf die kleine Pfütze, die der geschmolzene Schnee unter ihren Füßen hinterlassen hatte. Cardinal dachte schon, sie würde in Tränen ausbrechen, doch als sie wieder aufsah, waren ihre Augen trocken. »Keiths Eltern sind auf einer Ausgrabung in der Türkei – sie sind beide Archäologen – und im Moment nicht erreichbar. Ich will nicht warten, bis sie mir sagen, was ich tun soll. Ich habe von den Mordfällen gelesen, die bei Ihnen hier oben vorgekommen sind. Das waren nicht bloß Morde, die Opfer

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