Gefrorene Seelen
Einerlei wie eine mythische Vision des Nordens. Eric brütete wortlos vor sich hin, aber Edie schwelgte in der Gewissheit, den Mann neben ihr so gut zu kennen, dass es keiner Worte zwischen ihnen bedurfte. Tatsächlich wusste sie, was Eric insgeheim beschäftigte, was er jeden Augenblick sagen würde. Den ganzen Vormittag und bis in den Nachmittag hinein war er unruhig und reizbar gewesen. Nachdem sie die Fotos gemacht hatten, war er etwas ruhiger geworden, aber Edie spürte genau, was gleich kommen würde, selbst wenn Eric es noch nicht wusste. Jeden Augenblick würde er die Worte sagen.
Doch jetzt stand Eric erst einmal auf und stellte sich vor die
Chippewa Princess,
einen Ausflugsdampfer, den man zum Restaurant umgebaut hatte. Das Restaurant wurde nur im Sommer betrieben, im Winter lag der Dampfer wie ein gestrandeter weißer Wal außerhalb des Eises. Eric stellte das Kameraobjektiv ein und fluchte über die Kälte. Edie machte sich an ihrer Frisur zu schaffen. Sie wollte, dass ihr das Haar so über ein Auge hing, wie sie es im Kino bei Drew Barrymore gesehen hatte. Manche geben die Hoffnung eben nicht auf, sagte sie sich verbittert. Wenigstens würde auf diese Weise ein Teil ihres Gesichts verdeckt sein.
Wie sie Eric in seinem langen schwarzen Mantel so dastehen sah, wünschte sie sich, sie könnten miteinander schlafen. Nur leidermochte Eric das nicht. Sein ganzer Körper erstarrte, wenn sie ihn berührte, nicht vor Verlangen, sondern vor Ekel. Anfangs hatte sie gedacht, der Ekel sei gegen sie gerichtet. Was sie nicht verwundert hätte. Aber Eric schien einen Ekel vor allem Geschlechtlichen zu haben. Sex sei etwas für Schwächlinge, behauptete er immer. Nun, sie konnte auch ohne das auskommen, vor allem seit sie mit Eric diese andere tiefere Erregung teilte. Er würde das Wort binnen einer Stunde aussprechen, da war sie sich ganz sicher.
»Rutsch mal.« Eric bedeutete ihr, sich weiter nach links zu setzen. »Ich möchte die Inseln noch mit aufs Bild bekommen.«
Edie wandte sich um. Dort draußen, wo sich Himmel und See im gleichen Aschgrau vereinten, lagen die Inseln. Eine davon war Windigo. Wer hätte gedacht, dass so ein kleines Eiland auch einen Namen hatte? Edie erinnerte sich an das tote Mädchen, an den Abdruck ihres Rückgrats gegen Erics Seesack. Wie schicksalsschwer ihr damals allein schon das Wort »Mord« vorgekommen war. Umso erstaunter stellte sie dann fest, wie wenig die eigentliche Tat wog. Ein Menschenleben war ausgelöscht worden, aber deswegen war keine Feuersäule vom Himmel herabgestoßen, kein Abgrund der Hölle hatte sich aufgetan. Die Polizei und die Presseleute hatten ein bisschen für Aufregung gesorgt, doch davon abgesehen ging das Leben genauso weiter wie vorher – nur eben ohne Katie Pine. Ich hätte sogar ihren Namen vergessen, dachte Edie, wenn er nicht Tag für Tag in den Nachrichten wiederholt worden wäre.
Sie rutschte ein Stück nach links, gerade als die Eisdecke plötzlich mit einem Geräusch wie berstendes Metall aufbrach. Edie entfuhr ein Schrei. »Eric, hast du das gehört?«
»Das Eis bricht. Bitte recht freundlich.«
»Ich kann jetzt nicht lächeln.« Kameras machten Edie verlegen, und das aufbrechende Eis hatte ihr einen Schreck versetzt, so als ob die Insel ihren Namen ausgesprochen hätte.
»Dann guck eben mürrisch, Edie. Mir ist das egal.«
Sie schenkte ihm ein breites Lächeln, nur um ihn zu ärgern, und er drückte auf den Auslöser. Noch ein Foto fürs Album.
Sie hatten ihre Fotoreportage draußen am Trout Lake unweit des Speicherbeckens begonnen. Eric hatte ein Foto von Edie gemacht, wie sie an der Stelle, wo sie Billy LaBelle vergraben hatten, einen Engel in den Schnee zeichnete. Der Schnee deckte alles zu, so dass nichts Unheilvolles zu erkennen war. Der Berg mit dem See und dem tiefblauen Himmel darüber hätte sich gut auf einer Postkarte gemacht.
Anschließend waren sie zur Main Street gefahren und hatten ein paar Aufnahmen vor dem Haus gemacht, in dem sie Todd Curry umgebracht hatten. Erst ein Foto von Edie, dann eines von Eric, dann eines von ihnen beiden zusammen (letzteres mit Erics Selbstauslöser). Ein Mann, der gerade seinen großen zotteligen Hund ausführte, hatte sie gesehen, und Edie war es so vorgekommen, als ob er sie scheel angesehen hätte. Doch Eric hatte sie beruhigt: Sie waren doch bloß ein Pärchen, das mit einer Kamera herumalberte. Was sollte der alte Sack daran schon verdächtig finden?
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