Gefuehlsecht
ausgeliehen hat, ist nur mit einem einfachen Radio ausgestattet. Also hat Maja sich kurzerhand den Ghettoblaster von Nadja geliehen, die ja jetzt sozusagen fast ihre Tochter ist. Die beiden haben sich mittlerweile näher kennengelernt und Maja hat tatsächlich so etwas wie einen Mutterinstinkt entwickelt. Aber vielleicht ist es ja auch ihr angeborenes Beschützersyndrom. Auf jeden Fall scheint die Kleine ganz süß und Maja gegenüber nicht ablehnend zu sein. Der Ghettoblaster ist pink, Marke Barbie, und leiert fürchterlich, aber das ist uns egal. Die unverkennbare Miss-Marple-Titelmelodie läuft jetzt bestimmt schon zum fünfzehnten Mal hintereinander, da hält ein roter Golf, ein Cabriolet, direkt vor der Haustüre. Das wird doch nicht …?
Doch, er ist es! Aus dem Wagen steigt Jürgen, pünktlich wie immer. Sofort macht sich das mulmige Gefühl wieder in meiner Bauchgegend breit. Jürgen trägt einen grauen Anzug und darüber seinen grauen Mantel. Das ist typisch für ihn. Er will ausziehen und taucht in Business-Kleidung hier auf. Ich rutsche automatisch ein wenig tiefer in den Sitz hinein, da sagt Maja mit beruhigender Stimme:
»Der erkennt dich eh nicht. Schreib dir lieber mal das Kennzeichen auf. Ich will doch zu gerne wissen, woher er dieses Erdbeerkörbchen hat. Das ist ja wohl eindeutig ein Frauenauto.«
Eine Bottroper Nummer. Während ich noch nach Papier und Stift in meiner Tasche krame, was mit Handschuhen gar nicht so einfach ist, hat Maja schon eine Lösung parat: »Das muss ihr Auto sein. Meinst du, der ist so blöd?«
Ich weiß nicht, ob Jürgen sich tatsächlich für den Umzug die Kiste hier von seiner neuen Freundin ausgeliehen hat. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob Jürgen überhaupt eine Neue hat. Und ob sie wirklich Natascha heißt. Sicherlich gibt es für alles eine Erklärung. Vielleicht hat er sich ja doch eine eigene Wohnung genommen? Jetzt, wo er voll berufstätig ist und ordentlich Geld verdient? Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das alles gar nicht wirklich passiert. Die Szene ist doch absolut filmreif. »Miss Marple und der Herzensbrecher« könnte die Episode lauten. Oder so was in der Art.
Jürgen bleibt vor der Haustüre stehen. Worauf wartet er? Da holt er sein Handy aus der Tasche. Maja sitzt kopfschüttelnd neben mir. »Guck mal, jetzt ruft der die blöde Kuh auch noch an. Der ist echt abgebrüht«, schimpft sie.
Aber es ist mein Handy, das da plötzlich in meiner Hosentasche klingelt. Unter meinem Wollmantel, den ich mit den blöden Handschuhen jetzt sowieso nicht aufkriege.
»Lass es bloß klingeln. Geh ja nicht ran. Der will sich vergewissern, ob du auch tatsächlich weg bist. Soll er ruhig seine Zweifel haben.«
Aber Jürgen scheint skrupellos zu sein. Ohne noch länger zu zögern schließt er die Haustüre auf. Den Schlüssel habe ich ihm extra noch mal für den einen Tag zur Verfügung gestellt. Ich denke an den riesigen Sackhaufen, den er gleich im Wohnungsflur vorfinden wird. Natürlich habe ich es doch nicht übers Herz gebracht, die Säcke ins Treppenhaus zu legen.
»Der wird Augen machen, wenn er die ganze schwarze Plastikpracht sieht. Wir haben übrigens gestern seine Hausschuhe vergessen und das Kopfkissen auch«.
»Und? Ich hoffe, du hast die blöden Dinger weggeschmissen. Wie viele Müllsäcke haben wir gestern noch mal gepackt?«
»Sieben Säcke, eine Kiste mit Büchern – und das Kissen.«
»Gut, dann muss er zweimal für die Säcke gehen und einmal für die Kiste. Das Kopfkissen kann er ja oben drauflegen. Du hättest Juckpulver in die Daunen streuen sollen, wenn du es schon nicht weggeworfen hast.«
»Ich habe Katzenhaare reingestopft. Von Lenas Kater«, sage ich mit Unschuldsmiene. »Jürgen hat eine Allergie.«
»Süße, ich bin stolz auf dich.« Maja guckt mich anerkennend an. Diese Aktion hat sie mir wohl gar nicht zugetraut.
Jürgen geht tatsächlich zweimal die Säcke und einmal die Kiste holen, ganz so wie Maja es vorausgesagt hat. Und dann geht er noch mal nach oben. Obwohl alle seine Sachen schon ordentlich in seinem ausgeliehenen Wägelchen verstaut sind. Ich rutsche auf einmal nervös auf dem Autositz hin und her. Mir fällt ein, dass ich meine geheime Kiste völlig unbeabsichtigt neben dem Bett hab stehen lassen. Vielleicht ist Jürgen ja neugierig und sieht gerade hinein? Ganz oben drauf liegt Angelo . Natürlich auch ganz zufällig.
Maja starrt gespannt durch die Windschutzscheibe, die gerade wieder anfängt zu beschlagen.
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