Gefuehlsecht
»Puppe, bist du bereit? Es geht los, er ist wieder da. Guck mal, er steigt ein. Boah, ist das aufregend. Los geht’s!«
Zweimal Miss Marple verfolgen in einem braunen Ford Sierra ein rotes Golf-Cabriolet, das mit heruntergelassenem Verdeck fährt, mitten im Dezember. Wir haben nämlich Jürgens Skier im Keller vergessen, die er jetzt auf dem Beifahrersitz verstaut hat und die nun steil in den Himmel ragen. Könnte fast witzig sein, wenn es nicht eigentlich so verdammt traurig wäre. Grinsend sage ich zu Maja:
»Wenn das Agatha Christie sehen könnte, die würde sich totlachen. Wenn sie nicht schon tot wäre.«
»Die ist schon tot? Das ist aber schade.«
Maja ist echt genial. Alice Schwarzer ist für sie schon gestorben und am Tod von Agatha Christie hat sie Zweifel. Wie sollte es auch anders sein? Schließlich sind wir gerade auf Miss-Marple-Tour und verfolgen einen Herzensbrecher, der schwarze Müllsäcke in einem Erdbeerkörbchen durch die Gegend fährt.
Zum Glück ist Bottrop nicht groß. Das Erdbeerkörbchen hält vor einem Mehrfamilienhaus, in einer Gegend, die uns irgendwie sehr bekannt vorkommt.
»Siehst du? Ich wusste doch, dass da was faul war. Von wegen, der hat sich mit einem Kollegen getroffen. Zwei Straßen weiter ist das Pettycoat und genau da haben wir ihn letztens getroffen!«
Jürgen steigt aus, schnappt sich die ersten Müllsäcke, zieht einen Schlüssel aus der Manteltasche und schließt die Haustüre auf.
»Der hat Schlüssel, Liebelein. Musste noch nicht einmal klingeln. Soll ich mal gucken gehen?«
»Nein, warte noch, lass ihn erst die anderen Säcke holen. Vielleicht hat er sich hier ja auch eine Wohnung gemietet?«
»Der? Niemals. Ich habe das eh nie verstanden. Seine Eltern sind doch wohlhabend, oder? Aber er zieht bei dir ein und bringt nix mit. Guck ihn dir doch an, der hat ja noch nicht mal ein Auto.«
»Jürgen wollte nie was von seinen Eltern nehmen. Dazu war er viel zu stolz.« Ich merke, wie ich ihn vor Maja verteidige.
»Aber nicht zu stolz, von dir zu nehmen.«
Da hat sie allerdings wieder Recht. Jürgen hat ein eher großzügiges Taschengeld von seinen Eltern bekommen. Und davon hat er einen Teil der Miete bezahlt. Ich habe immer während des Studiums und in den Semesterferien gearbeitet, während Jürgen ausschließlich gelernt hat. Die Einkäufe habe meistens ich bezahlt. Und getankt habe auch immer ich. Dafür hat er jetzt sein Examen in der Tasche und arbeitet in der Kanzlei. Und ich? Ich stecke mitten im Examen. Eigentlich müsste ich jetzt lernen. Und Jürgen müsste mich unterstützen. So, wie ich das bei ihm getan habe. Schade, dass ich gestern nicht schlagfertiger war, als er mir das Geld gegeben hat. Ich hätte ganz einfach fragen sollen: »Und wo ist der Rest?«
Maja sieht cool aus, wie sie da mit ihrem Kopftuch und dem alten schäbigen Wollmantel die Namen auf den Türschildern abschreibt. Und sie sieht nicht nur so aus, sie ist es auch. Sie zuckt noch nicht einmal sichtlich zusammen, als plötzlich die Tür wieder aufgeht und Jürgen herauskommt. Aber Jürgen interessiert sich nicht für diese arme Frau mit Kopftuch. Hoffentlich kommt Maja nicht auf die Idee, ihn zu fragen, ob sie aus seiner Hand lesen darf oder so. Zutrauen würde ich es ihr ja.
»Hier!«, sagt Maja, als sie wieder im Auto sitzt und mir ihre Notizen vor die Nase legt.
Kieselmehl
Stopnik
Martha und Hans Ludgeri
De la Soir
Krüger
Familie Humpert-Boix
Maja kennt Natascha Anastasia nicht mit Namen. Für sie war sie immer nur »das Büromäuschen«, ganz so wie sie es von Jürgen und mir mal gehört hat. Sie hat keine Ahnung, dass Natascha Anastasia aussieht wie eine schwarzhaarige Barbie und noch viel schöner. Dass sie superkurze Röcke trägt, die ihr fantastisch stehen, dass sie langes, von Natur aus gewelltes Haar hat und Beine, die irgendwo im Himmel aufhören. Wahrscheinlich dort, wo der liebe Gott sie erschaffen hat. Aber ich weiß es. Und das macht die Sache nicht leichter. Natascha Anastasia De la Soir! Ich Blöde habe es tatsächlich verdrängt, dabei hätte ich es wissen müssen. Spätestens seit dem Abend im Intermezzo . Wahrscheinlich geht es sogar schon viel länger zwischen den beiden. Das tut weh. Und zwar richtig.
Langsam kocht Wut in mir hoch, macht dem mulmigen Gefühl und der Traurigkeit Platz. Ich will nicht gehässig sein und eigentlich bin ich es ja auch nicht, aber eins, eins ist ja wohl mal total klar: Bestimmt darf diese dumme Barbiepuppe immer alle
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