Gefuehlsecht
beruhigt.
Komisch, Jürgens Antrag ist erst knapp zwei Wochen her und es kommt mir jetzt schon wie eine Ewigkeit vor. Und trotzdem weiß ich immer noch nicht so genau, was ich Jürgen morgen antworten soll. Die Wahrheit? Dass ich mich noch nicht entschieden habe? Dass ich einfach nicht weiß, was ich wirklich will? Dass ich Angst habe, mir könnte irgendwann was fehlen, wenn ich jetzt Ja sagen würde? Dass ich mich nie so richtig geliebt gefühlt habe? Ich glaube zwar schon, dass Jürgen mich liebt. Er zeigt es nur einfach nicht so, wie ich es manchmal gerne hätte. Ich möchte mich begehrenswert fühlen und ich wünsche mir, Jürgen hätte mich bei seinem Antrag so angesehen, wie Bruno das im La Luna getan hat. Bei ihm hatte ich das Gefühl, er sieht wirklich mich, so wie bin. Ich möchte Jürgen nicht heiraten. Aber verlieren möchte ich ihn auch nicht. Warum ist alles so schwer?
26
Ich bin noch nie verlassen worden
100 Gramm Nutella haben 514 Kalorien. Das hat Jürgen mir irgendwann mal vorgerechnet. Fassungslos schaue ich auf das fast leere Glas, das vor mir auf dem Küchentisch steht, und schiebe mir den letzten Löffel voll in den Mund. Ein handelsübliches Glas Nutella ist bis oben mit 400 Gramm schokobrauner Haselnussmasse gefüllt. Das sind 2056 Kalorien, die ich großzügig auf 2050 abrunde, wegen dem Rest, der ja immer im Glas kleben bleibt.
Auf dem Tisch liegt ein Umschlag, in dem sich fünfhundert Euro befinden. Ich habe Jürgens Lieblings-CD aufgelegt. Marius Müller-Westernhagen trällert gerade sehnsüchtig: »Lass uns leben …«, doch das hört er längst nicht mehr.
Jürgen hat mich verlassen. Und das Letzte, was er zu mir gesagt hat, war: »Das Geld ist dafür, dass ich eine Zeit lang nichts zum Lebensunterhalt beisteuern konnte und ich mit deinem Auto fahren durfte in der Zeit, als ich mitten im Examen steckte und gar nichts anderes mehr tun konnte außer lernen.«
Ich fasse es nicht! So ein Drecksack! Da bringe ich ihn mit viel Geduld, Ausdauer und regelmäßigen Mahlzeiten durch die Prüfungen und er beendet die Beziehung ausgerechnet dann, wenn ich selbst mitten im Examen stecke. Und dann werde ich auch noch ganz billig mit 500 Euro abgespeist.
Ich bin noch nie verlassen worden. Bisher war immer noch ich diejenige, die Schluss gemacht hat. Das war bei Pocke so. Das war bei Gunther so. Und bei Martin selbstverständlich auch.
514 Kalorien. Als ob ich mich jemals darum kümmern würde, wie viel Kalorien 100 Gramm Nutella haben. Wie viel sind eigentlich 100 Gramm? Zwei Esslöffel? Vier Esslöffel? Ist ja auch egal. Das Glas ist eh alle.
Ich zähle die Scheine nach, die Jürgen in den Umschlag gesteckt hat. Es sind tatsächlich fünf. Man kann ja nie wissen. Momentan weiß ich nicht, was mehr weh tut. Dass Jürgen mich verlassen hat oder dass er mir fünfhundert Euro in die Hand gedrückt hat.
Marius trällert still und leise den nächsten Song: »Johnny Walker, jetzt bist du wieder da …«
Ich hole die Flasche Whiskey aus meiner geheimen Kiste, sage kurz »Hallo, auch Single?« zu Angelo , der still und leise zwischen meinen ganzen gesammelten Schätzen liegt, gieße mir ein großes Glas Talisker ein und greife zum Telefonhörer. »Maja? Hast du Zeit?«
Es dauert nicht lange, da steht Maja vor meiner Tür. Sie schließt mich sofort in ihre Arme und ich fange fürchterlich an zu schluchzen.
»Liebelein, das ist ja unglaublich. Oder habe ich mich am Telefon verhört? Der hat dich doch nicht ernsthaft verlassen, oder?
Doch, Jürgen hat mich tatsächlich verlassen! Und zwar bevor ich es mir überlegt habe! Pünktlich auf die Minute um sieben stand Jürgen bei mir vor der Tür. Ich habe sofort gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Er verhielt sich ganz eigenartig und hatte diesen traurigen Blick, so als wäre gerade jemand gestorben. Ich dachte noch, jetzt kommt bestimmt gleich: »Barbara, ich muss dir etwas sagen«, und so war es dann auch.
Jürgen hat den Schlussstrich gezogen, weil er mir genau vor zwei Wochen einen Heiratsantrag gemacht hat, ich nicht sofort vor Glück in Ohnmacht gefallen bin und nicht gleich begeistert angenommen habe. Jürgen wünscht sich eine Frau, die sich seiner ganz sicher ist. Dann hat er gesagt, wie leid ihm das alles tut. Schließlich hat er das Kuvert mit den fünfhundert Euro auf den Tisch gelegt und die Tür ist ins Schloss gefallen.
Seine Sachen holt er am Sonntag. Das ist zum Glück nicht viel. Die Möbel gehören alle mir. Jürgen hat
Weitere Kostenlose Bücher