Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
den Namen der Ehefrau, das solle sie doch bitte ihren Freund fragen, der kenne den Namen ganz bestimmt.
Sam stand in der Telefonzelle und hörte Liza zu.
»Also«, fragte Liza nach einer kurzen Pause und bekam fast wieder ihre alte Stimme, »was machen wir jetzt?«
In diesem Augenblick, in genau dieser Sekunde, so spürte er, endete der unbeschwerte und fröhliche Anfangsteil seines Lebens. Ein komplizierter, beschwerlicher Mittelteil begann.
6
Walther Goerlitz, der, wenn man eine Meinungsumfrage veranstaltet hätte, bedeutendste und beliebteste Mann, mit dem N. jemals zu tun haben würde, achtete darauf, dass er sich erst nach ihr auszog. Sie half ihm. Mit seinen Socken hatte Goerlitz in letzter Zeit ein bisschen Probleme, er kam da schlecht heran. Sie befanden sich in Goerlitz’ Villa, nicht weit von München. Der Salon öffnete sich auf breiter Front zum See, im Kamin brannte ein Feuer, sie hatten Champagner getrunken.
Das Haus war, etwa zwanzig Jahre vor diesem Tag, von einer Innenarchitektin nach dem Geschmack der damaligen Zeit eingerichtet worden, aus einem Guss, perfekt. Doch inzwischen erinnerten die kühn geschwungenen Hellholzmöbel und die Glasvitrinen und der beige Teppich, auf dem sie lagen, an die Wiederholung eines alten Kriminalfilms im Fernsehen, nur, dass diese Filme in Schwarz-Weiß ausgestrahlt wurden. Die Goerlitzvilla war farbig.
Der einzige Stilbruch, den man Goerlitz hätte vorwerfen können, und zugleich das persönlichste Einrichtungsstück, bestand aus einem ausgestopften Karibu, einem Tier, das einem Elch ähnelte und das Goerlitz, etwa zu der Zeit, als er das Haus bauen ließ, bei einer Jagdreise in Kanada erlegt hatte. Das Karibu war groß, es machte die gewaltigen Ausmaße des Salons sinnlich spürbar, insofern besaß es durchaus eine über das Ornamentale hinausgehende Funktion. Goerlitz hatte schon oft darüber nachgedacht, das Tier abzuschaffen, aber wenn er Gäste hatte, war das Karibu fast immer ein willkommener Anknüpfungspunkt für Gespräche und Reiseanekdoten. Außerdem wirkte es inzwischen ein wenig selbstironisch, ein Eindruck, den er durch spöttische Bemerkungen über die wenigen Niederlagen in seiner an Siegen reichen Karriere zu verstärken suchte.
Aber er war kein ironischer Mensch. Er fühlte sich einsam und wusste es. Seine Frau, die dritte, lebte seit Langem in München, das Autofahren bereitete ihm Mühe, und die meisten Abende verbrachte er mit wachsender Verbitterung vor dem Fernseher, wo er zu später Stunde manchmal sich selber begegnete, dem jungen, strahlenden Goerlitz, wie er im Smoking, eine Zigarette mit Mundstück rauchend, in einem funkelnden Hotelfoyer einer inzwischen verstorbenen Kollegin in den Pelzmantel half, dem mittleren, etwas rundlicheren Goerlitz, wie er in einer Försteruniform, mit Pfeife, farbig, ein reizendes Geschöpf im Dirndl über den Vierwaldstätter See ruderte, oder dem späteren, wieder schlankeren Goerlitz, wie er für einen Jungfilmer, der inzwischen seinen Drogenexzessen erlegen war, seine Filmehefrau und ihren Liebhaber mit einem Schlachtermesser metzelte und dazu, blutbespritzt, aus dem Alten Testament rezitierte.
Manchmal betrachtete er sich, auch wenn er nicht spielte, von außen, mit den Augen eines Regisseurs, er schlüpfte aus seinem Körper heraus, diese Gabe besaß er, er überprüfte von außen seine Körperhaltung, seine Mimik, seine Bewegungen, und wenn er in solchen Momenten diesen inzwischen wieder mageren, nein, dürren Mann sah, der in einem karierten, zu großen Pyjama krumm und schief vor dem Fernseher saß, alte Filme sah und dazu Kekse aß, dann grauste es ihn, und er hätte beinahe geweint, aber das war nicht sein Stil.
Sein Gesicht war immer noch gut.
Aber da war nun N., dieser Abend verlief anders. N. verfasste Goerlitz’ Memoiren. Er hatte sie, ohne jeden Hintergedanken, oder vielleicht nur mit einer ganz leisen, kaum spürbaren Hoffung, unter drei Autoren ausgewählt, die der Verlag ihm vorschlug. Sie war direkt, sie schmeichelte nicht und biederte sich nicht an, das mochte er. Sie wirkte gleichzeitig dünnhäutig, kritische Fragen mochte sie überhaupt nicht. Privat war sie sicher schwierig. Und sie hatte mit dieser Art von Arbeit keine Erfahrung. Aber auch das gefiel Walther Goerlitz, ein zartes, unbeschriebenes Blatt, das er mit den Erfahrungen, den Einsichten und den Abenteuern seines langen Lebens bedecken würde.
Einige Monate lang flog N. regelmäßig von Berlin nach München, am
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