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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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jüdischen Macho mit reichlich Haaren auf der Brust vorstellen, Philip Roth vielleicht oder Woody Allen, dem würde sie zeigen, wo der Hammer hängt.
    Es gab eine unglaubliche Auswahl an Handschellen. Auch preislich waren die Unterschiede enorm. Jens glaubte, dass er sich die besonders stabilen Exemplare – aus massivem Stahl – sparen konnte. Das Ganze war schließlich nur ein Spiel, da war verchromtes Blech ausreichend. Stattdessen achtete er auf handgelenkfreundliche Innenpolsterung, ein bisschen Tragekomfort musste schon sein.
    Er war erregt, fast wider Willen. Dass ausgerechnet N., die so bedacht war auf ihre Autonomie oder Immunität oder wie immer das hieß, auf so etwas stand! Sie war doch auch Feministin. Zum Glück ein bisschen weniger als Regula Scheurenbrandt. Das war doch widersprüchlich, wenn man es dann genießt, Objekt zu sein. Andererseits war das ganze Leben eine solche Ansammlung von Widersprüchen, Diffusionen und Inkohärenzen, da kam es auf ein Paar innenseitig gefütterte Handschellen für 89 Mark 50 wohl auch nicht mehr an.
    In den Tagen vor der Kurzreise radikalisierte sich der Telefonkontakt. Jens und N. sprachen mehrmals täglich, und zwar auf eine so offene Weise, dass Jens die Tür zu seinem Büro abschloss, er konnte in diesem Zustand einfach für nichts mehr garantieren. Einmal sah er, dass Regula Scheurenbrandt von außen die Türklinke sacht drückte, aber das war ihm dann auch egal. Sie klopfte nicht und sprach ihn auch nicht auf das Vorkommnis an. Sie schaute nur strenger als üblich. Vielleicht hatte sie durchs Schlüsselloch gelinst? Na, das war dann ihr Problem.
    Jens konnte sich schon am Donnerstagnachmittag freimachen. Die Fahrt mit dem Auto unterbrachen sie mehrmals auf Parkplätzen. Aber sie waren übereingekommen, sich beide zurückzuhalten, nur Knutschen und Anheizen, sonst nichts.
    Auf dem Parkplatz der Transitstrecke war es Jens anfangs mulmig zumute. Der Abstand zu den anderen Wagen kam ihm zwar ausreichend vor, aber bestimmt wurden sie aus einem oder sogar aus mehreren Wachtürmen beobachtet. Doch nachdem er kurz nachgedacht hatte, kam ihm der Gedanke, dass sie beide, also das sich bespeichelnde und befingernde Knäuel, das sie bildeten, in dem Fernglas einiger Vopos zu sehen waren, nicht mehr so beunruhigend vor. Gegen Sexualität hatte die DDR, soweit ihm bekannt war, nichts. Das hatte nichts Staatsfeindliches. Waren die da nicht sogar freizügiger als im Westen? Die Vopos würden ihnen nichts tun, die brachten sogar ein gewisses Verständnis auf. Die würden sich freuen, da war er sich sicher. Die sahen das lockerer als, nur jetzt als Beispiel, Regula Scheurenbrandt. Hatte die ihn wirklich durch das Schlüsselloch ins Visier genommen?
    Zuerst gingen sie in die Sauna. Es war eine großzügige Sauna, mit Garten, Außenschwimmbecken, Dampfbad, 90 Grad und 60 Grad. Im Pool hätten sie es fast gemacht, aber nur fast, dann kam ein älteres Ehepaar und schaute sie strafend an. Sie tranken Tee, aßen eine Kleinigkeit, innen, im Garten war es dazu leider zu kalt, noch nicht winterlich, aber doch schon sehr deutlich Herbst. Dann gingen sie aufs Zimmer.
    Wegen des Erwartungsdrucks, der sich im Laufe der vergangenen Wochen bei ihnen aufgebaut hatte, machte sich Jens ein wenig Sorgen. Gewiss, es war nicht ihr erstes Mal. Bei Weitem nicht. Doch von Telefonat zu Telefonat, und dann erst auf den Parkplätzen, hatte sich zwischen ihnen sozusagen eine gewaltige rosafarbene Wolkenbank aufgebaut, ein sich von weiter Ferne ankündigendes und in majestätischer Langsamkeit näher schiebendes Lustgewitter, dessen Entladung unter Blitzen und Donnern nun zweifellos unmittelbar bevorstand. Das, was die Vorstellung sich ausmalt, kann die Realität eines Liebesaktes nur selten einlösen, so viel wusste auch Jens, und egal, wie sehr einer die wertvolle Kunst des Selbstbetruges auch perfektioniert haben mag, ganz lässt diese Erkenntnis sich niemals unterdrücken.
    Für einen kurzen Moment, während sie durch den Garten der Dependance zustrebten, in der ihr Zimmer sich befand, spürte er völlige Windstille. Der Teutoburger Wald schwieg, Krähen, Eulen und Eichelhäher schwiegen, die Blätter, die sich im Becken eines längst abgestellten Springbrunnens gesammelt hatten, bewegten sich nicht, und für Insekten war es ohnehin schon zu kühl.
    Tatsächlich hatte er gewisse Anlaufschwierigkeiten. Als er diese Schwierigkeiten überwunden zu haben glaubte, als es gewissermaßen losgehen konnte,

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