Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
launisch war, divenhaft, nun, andere sahen das vielleicht anders. Auf jedes Töpfchen passt ein Deckelchen, sagt man. Aber bei N., sagte sich Jens, musste das schon ein ganz exquisit geformtes und extrem strapazierbares Deckelchen sein.
Trotzdem machte er sich hin und wieder Hoffnungen, dass aus ihm und N. eines Tages wieder etwas werden könnte. Menschen ändern sich, werden reifer. Warum sollte denn nicht auch N. reifer werden und realistischer in ihren Ansprüchen. Er war jedenfalls kein übler Typ, da war er sich ziemlich sicher. Die Barry-White-Kassette, die N. für ihn aufgenommen hatte, hörte er immer noch manchmal beim Autofahren, zu dieser Musik hatten sie es oft gemacht, vor allem zu »Love Theme«. Der Song war mindestens fünfzehn Jahre alt und zu diesem speziellen Zweck immer noch unschlagbar.
Es war besser, darauf zu warten, dass N. anrief. Wenn er selber die Initiative ergriff, ließ sie ihn meistens abblitzen. In dieser Hinsicht war sie dann doch berechenbar. N. rief ihn also an und schlug vor, dass sie mal wieder ein verlängertes Wochenende im Teutoburger Wald verbringen sollten, in einem sehr schönen Hotel mit Sauna, wo sie in ihrer gemeinsamen Zeit mehrmals gewesen und Feste der Liebe gefeiert hatten. Das war eine gute Nachricht, mit der Einschränkung, dass der von N. avisierte Termin für das verlängerte Wochenende noch fast zwei Monate entfernt lag. Doch stellte sich dieser Nachteil beinahe als Vorteil heraus. Denn in den folgenden Telefonaten drehte sich alles um die bevorstehende Wiedervereinigung, die N. und er sich in den leuchtendsten Farben und mit allen Details ausmalten, du hier, ich dort, dann dies, nein, erst jenes, aber schön langsam. Heiseres Flüstern, angedeutetes Stöhnen. Solche Telefonate kannte Jens bis dahin nicht, weshalb er zunächst ein bisschen scheu war, aber N. schien darin eine gewisse Übung zu besitzen, woher eigentlich, sie riss ihn mit, und er ließ sich gerne mitreißen.
Drei Wochen vor dem Termin kam der Vorschlag mit den Handschellen.
Ja, warum denn eigentlich nicht? N., die auch in diesem Fall nicht damit herausrückte, ob sie bereits über Erfahrungen verfügte, fand, dass sie es erregend finden würde, wahnsinnig erregend sogar, voraussichtlich jedenfalls, wenn er sie mit Handschellen an das Bett fesseln würde. Zumindest an den Armen. Bei den Beinen war sie sich noch nicht ganz sicher. Sie hatte, weil sie beide sich nicht mehr an dieses Detail erinnerten, auf dem Hotelprospekt die Betten genau in Augenschein genommen. Es gab Bettpfosten. Das sah sehr, sehr gut aus in dem Prospekt.
Die Sexshops lagen eigentlich alle in den belebten Innenstadtbezirken. Den Gedanken, dort einem Bekannten über den Weg zu laufen, fand Jens zwar unangenehm, aber gerade noch erträglich. Am meisten peinigte ihn die beinahe schon zwanghafte Idee, dass er beim Betreten oder Verlassen des Shops Regula Scheurenbrandt über den Weg laufen würde, seiner Sekretärin, die auch nach zwanzig Jahren in Berlin ein gemütliches, breites Badisch zu sprechen pflegte und die er, von zwei oder drei gemeinsamen Essen, als bis ins letzte Detail kompromisslose Feministin kannte und die jederzeit einen halbstündigen Spontanvortrag über männlichen Sexismus aus ihrem gebauschten Blusenärmel zu schütteln imstande war. Überdies war Regula Scheurenbrandt aus gemeinsamen Studienzeiten mit seiner sozusagen offiziellen Freundin gut bekannt, die unter der Woche in Hamburg einen Lehrauftrag erfüllte, mit gelegentlichen Wochenendseminaren in Plön, das war in seiner Situation praktisch, und zumindest an dieser Front musste er vor einer peinlichen Begegnung keine Angst haben.
Er wählte einen Laden am Kurfürstendamm, in den dortigen Touristenströmen konnte er sich so unerkannt bewegen wie eine Makrele in einem Makrelenschwarm. Regula Scheurenbrandt beauftragte er mit einer extrem schwierigen Recherche für einen Mandanten, auf dessen Immobilie, in gutem Glauben irgendwo in Westdeutschland erworben, eine jüdische Erbengemeinschaft aus den USA Ansprüche erhob. War dieses ganze Nazi-Zeug denn nicht längst abgewickelt? Ära Adenauer? Sie haben Carte Blanche, Regula. Telefon, Spesen, alles, hatte er zu ihr gesagt, finden Sie halt was heraus.
Eigentlich entsprach dieser Auftrag nicht dem Anforderungsprofil einer Sekretärin, nun, immerhin einer abgebrochenen Studentin. Aber Regula war ehrgeizig. Die würde sich da so richtig reinbeißen und sich im Geiste als Gegner einen schwanzfixierten
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