Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
fragte N. nach einem Kondom.
Das brachte ihn sofort wieder aus dem Konzept. Sie hatten, seit sie offiziell getrennte Wege gingen, immer diese scheußlichen Dinger verwendet, aber erst nach einer gewissen Weile, vor dem Finale. Jetzt sagte N., dass es doch wohl neuerdings Standard sei – Standard! –, das Ding gleich sofort und unverzüglich anzulegen, ohne das Ding, von Anfang an, laufe gar nichts.
N. sagte, dass es diese Krankheit gebe, das wisse er, und dass sie keine Ahnung habe, was er alles so treibe, das wolle sie auch gar nicht wissen, und was sie treibe, werde sie ihm auch nicht erzählen, kurz, sie lasse darüber nicht mit sich diskutieren.
Jens diskutierte aber doch. Erstens lebe er, von seiner Freundin mal abgesehen, eine Formulierung, bei der er, während er sie aussprach, spürte, dass sie nicht in Ordnung war, total monogam, besser gesagt, total bigam, auch total hetero, abgesehen von ein paar weit zurückliegenden Geschichten, lange bevor es die Krankheit überhaupt gab. Von ihm drohe also keine Gefahr, zumindest keine nennenswerte, und die von ihr ausgehende Gefahr sei er bereit hinzunehmen. Großen Risiken aus dem Weg zu gehen, sei vernünftig, allen, auch den kleinsten Risiken aus dem Wege gehen zu wollen, sei eine Zivilisationskrankheit. Ein Leben ganz ohne Risiko gibt es sowieso nicht, sagte Jens, wer das versucht, scheitert und macht sich bloß die Lebensqualität kaputt, sie waren also gleich bei den grundsätzlichen Themen, und ein Gespräch über grundsätzliche Themen ist, wie Jens im Grunde klar war, seit dem Beginn der Menschheit immer das sicherste Mittel gewesen, um eine Person sexuell ruhigzustellen.
Die ganze Zeit hatte er den Verdacht, dass es N. nur um eine Machtfrage ging. Bei ihr ging es doch dauernd um Machtfragen. Heute so, morgen anders, übermorgen wieder anders, je nachdem, wie sie es gerade will. Warum hatte sie ihn hierhergelockt? Um ihn, nachdem sie ihm Gott weiß was für Versprechungen gemacht hat, umso sicherer fertig machen zu können. Hier konnte man ja nicht mal, um sich zu beruhigen, eben schnell vor die Tür gehen, in eine Kneipe. Hier gab es in zwanzig Kilometern Umkreis nur den verdammten, verfickten Teutoburger Wald mit Uhus und Rotwild.
Wenn man vorher, in der Sauna zum Beispiel, über das Kondom geredet hätte. Hör mal, so und so, ich bin da jetzt ängstlicher geworden, lass es uns anders machen diesmal, darauf hätte er sich einstellen können. Er war doch gar nicht so. N. konnte einfach nichts Schönes ertragen, Harmonie war nicht ihr Ding. Wie eine Selbstschussanlage, ballerte bei Annäherung ohne Vorwarnung los.
Das sagte er aber nicht. Er blieb sachlich. Im Großen und Ganzen. Trotzdem war die Stimmung hinüber, daran war nicht zu rütteln. Nach einer Weile beruhigten sie sich und redeten über neutrale Themen. Die politische Lage. Die politische Lage war ebenfalls unübersichtlich.
Als er aufwachte, konnte sich Jens an ihre Meinungsverschiedenheit, vielleicht war es sogar ein Streit gewesen, nicht mehr sofort erinnern. Er war ganz damit beschäftigt, seine Lage zu begreifen und seine Gliedmaßen zu sortieren. Er lag auf dem Rücken. Unten, mit seinen Beinen, war alles okay. Wo war N.? Im Badezimmer offenbar, wenn er den Kopf leicht hob, sah er unter der Badtür einen Streifen Licht. Das Problem waren seine Arme, er konnte seine Arme nicht bewegen. Sie waren weit ausgebreitet, wie bei einem Gekreuzigten, und jetzt, inzwischen war er aus der Zwischenwelt des Erwachens zurückgekehrt und Herr seiner Sinne, bemerkte er, dass sie mit den Handschellen an den Bettpfosten befestigt waren. Was für eine gute Idee, das Modell mit der Innenpolsterung zu wählen! Er war nackt. Nackt und hilflos wie ein Nacktmulch. Was hatte sie mit ihm angestellt? Das Letzte, woran er sich erinnerte, war eine warme Welle der Müdigkeit, die wahrscheinlich mit den drei Saunagängen und mit dem Hormonsturz zusammenhing, infolge des plötzlichen Zusammenbruchs seiner Erregungskurve, darüber hatte er gelesen.
N. kam aus dem Bad, sie trug ihren Pyjama.
»Was ist passiert, was tust du?«, fragte Jens.
»So war’s doch geplant«, sagte N., »so wollten wir es doch machen, Bärchen. Alles in Ordnung.«
Sie schien wieder ganz gut drauf zu sein, so schnell, wie ihr Verhalten in die eine Richtung kippte, konnte es auch wieder in die andere gehen, diese Frau war ihm ein Rätsel. N. ging zum Fernseher und machte ihn an. »Das musst du sehen«, sagte sie. Dann schob sie ihm ein
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