Gefühltes Wissen
dadadaaa…» Guck, wie sinnig, ich hatte auch 'n Traum, aber den habt ihr mir ja gerade weggeblasen. Stattdessen wird mir jetzt wieder dies bekloppte Lied den ganzen Tag nachlaufen. Es kann mir keiner erzählen, dass es Zufall ist, dass genau um 6.30 Uhr, wo nachweislich die meisten Radiowecker in der Stadt gezündet werden, ausgerechnet «I have a dream…» läuft. Das ist doch zynisch. Wahrscheinlich spielen sie das um Punkt sieben, halb acht und acht gleich nochmal, wechseln für die 9- und 10-Uhr-Aufsteher zu: «I wanna be daylight in your eyes» oder «Wake up, little Susi», um dann ab 11.00 Uhr den Tag für alle Arbeitslosen und Schluffis mit einem knackigen: «Hey, I'm a loser, baby, why don't you kill me» zu eröffnen.
Höre, wie mein Nachbar anfängt zu frühstücken. Kriege auch Hunger.
Schaue in den Kühlschrank. Der meldet: «Hier sind sowieso nur noch zwei Eier und sonst nix.» Auch gut, dann also Spiegeleier. Von jetzt an geht alles sehr schnell: Eier, Pfanne, Öl, Gasherd an, Pfanne auf Flamme, Flamme geht aus, Pfanne runter, Gasherd an, Pfanne rauf, Flamme aus, Schnittlauch von Fensterbank, Pfanne runter, Gasherd an, Pfanne rauf, Schnittlauch schneiden, nebenbei salzen, kommt nix, Salzstreuer leer, fluchen, hochgucken, Salzpackung ist auf Regal über Arbeitsplatte und Gasherd, fluchen, weiter hochgucken, einmal im Kreis laufen, fuchteln, fluchen, fuchteln, Hocker holen, fluchen, auf Hocker steigen, Salzpackung greifen, Mehl, Zucker, Gewürze, Flocken, Salz, alles rutscht, beide Hände hoch, alles festhalten… gefangen… fünf Sekunden Stille, dann fluchen, Gleichgewicht verlieren, schwanken, ohohohohoho schreien, fluchen, alles aus Regal mit einem Arm halten, mit anderer Hand auf Arbeitsplatte abstützen, ins Schnittlauchmesser fassen, Schmerz, Blut, fluchen, Gestank riechen, dampfende Eier sehen, fluchen, fluchen, fluchen, mit Fuß versuchen, Pfanne von Flamme zu schubsen, wieder Gleichgewicht verlieren, beide Hände hoch, an Regal festhalten, fluchen, Regal knarzt, fluchen, Pfanne mit Fuß nicht von Flamme kriegen, fluchen, Fuß auf Pfannenstiel, Pfanne hoch, Zeit gewinnen, lachen, nochmal alles gut gegangen, Salz rieselt aus gekippter Packung in offene Wunde, Schmerz, fluchen, Schmerz, fluchen, Schmerz, fluchen, Schmerz, fluchen, fluchen, fluchen, bisschen weinen, Türklingel, gerettet.
Es gehört zu meinen eigenartigsten Eigenschaften, sobald irgendwo Türglocke oder Telefon läutet, sofort alles stehen und liegen zu lassen und im sicheren Bewusstsein, eine dringende, wichtige, unaufschiebbare Aufgabe zu haben, zur Klingel zu eilen. «Platz, ich muss zum Telefon!» - «Unterbrecht die Geburt, es hat an der Tür geklingelt!» - «Ich weiß, dass meine Hose brennt, aber hörst du nicht, dass die Türglocke läutet?»
Wie in Trance stelle ich alles zurück an seinen Platz, steige vom Hocker, mache den Herd aus und gehe zur Tür. Ohne Türklingeln hätte ich das nie geschafft.
Öffne die Tür. Mein Nachbar bittet mich, um die Uhrzeit doch nicht ganz so viel Krach zu machen. Es sei schlimm genug, dass er so früh aufstehen müsse, wenn dann auch noch gleich morgens so 'n Radau ist, wär ihm immer gleich der ganze Tag versaut.
Sage, ich werde versuchen, mich nicht mehr so früh von seinem Radiowecker wecken zu lassen. Das heißt, das will ich sagen, tatsächlich umschreibe ich diesen Satz, indem ich ihn stark verdichte, also tatsächlich sage ich nur: «Arschloch!»
Frage ihn dann, ob er mir zwei Eier leihen kann. Er lehnt überraschend ab, erinnert mich an die Fotos und reißt meine Tür zu.
Gehe wieder in die Küche und betrachte das Desaster. Denke, das glaubt mir doch wieder keiner. Beschließe, vorsichtshalber Fotos zu machen. Hole Stehlampe aus dem Zimmer, um die Pfanne und die Blutspuren spektakulär auszuleuchten. Nach einer knappen halben Stunde Einrichten ist das Licht endlich so, wie es sein soll. Drücke auf Auslöser. Stelle fest, dass kein Film in der Kamera ist. Na gut, dann eben abmalen. Hole Staffelei und Tuschkasten. Mist, kriege die Farbe von den verschmorten Eiern einfach nicht gemischt. Na gut, dann eben andersrum, vielleicht kann ich ja die Eier auf die schon gemischte Farbe hinschmoren. Mache den Herd wieder an. Brauche mehr Licht auf den Tuschkasten. Versuche die Stehlampe mit dem Fuß in die richtige Position zu schubsen. Lampe fällt. Mache Ausfallschritt, um Lampe aufzufangen, reiße Staffelei um, gehe in Spagat, um mit anderer Hand Staffelei aufzufangen, höre
Weitere Kostenlose Bücher