Gegen alle Feinde - Clancy, T: Gegen alle Feinde - Against All Enemies
Träumen und Albträumen würde Rojas später den Mond in diesen Augen sehen, und vor diesem Mond stand als Silhouette der Wächter und hob die Pistole. Rojas bemühte sich dann stets, das Gesicht des Mörders zu erkennen, aber es wollte ihm nie gelingen.
Er legte den Kopf auf die Brust seines Bruders und begann zu weinen. Nachbarn fanden ihn so einige Minuten später, und schließlich kamen auch seine Eltern zurück. Die ganze Nacht über war das Jammern und Klagen seiner Mutter zu hören.
Aber das war in einem anderen Leben , dachte Rojas und strich mit dem Finger über die Armlehne aus Wurzelholz. Die Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte sei ein Klischee, hatte man ihm erzählt, aber er wäre jedem entgegengetreten, der sein Leben als Klischee bezeichnet hätte. So sehr er seinen Bruder weiterhin liebte und bewunderte, verstand Rojas jetzt, dass Esteban einen schweren und dummen Fehler gemacht hatte. Rojas hatte fast sein halbes Leben damit verbracht, den Mörder von Esteban zu suchen, aber niemand hatte ihm dabei helfen können.
»Jorge, ich kann dir gar nicht genug danken. Für all das hier danken. Immerhin bin ich noch nie persönlich dem Präsidenten eines Staates begegnet.«
»Ich habe bereits viele kennengelernt«, sagte Rojas. »Und weißt du was? Das sind auch nur Menschen. Die Leute werden versuchen, dich einzuschüchtern, aber niemand ist besser als der andere. Nur haben einige eben Geld und Waffen. Das ist der ganze Unterschied.«
»Und einige haben Privatjets«, fügte Campbell mit einem Grinsen hinzu.
Rojas nickte. »Ich reise eben gern.«
»Sicher hat man dir diese Frage schon einmal gestellt, aber Leute wie du faszinieren mich einfach. Was hat deiner Meinung nach am meisten zu deinem Erfolg beigetragen? War es Disziplin oder einfach nur dein helles Köpfchen? Oder von beidem etwas? Ich meine, du hast mir ja die Geschichte von dieser Kleinstadt erzählt, in der du aufgewachsen bist. Und jetzt bist du buchstäb lich einer der reichsten Männer der Welt. In diesem Artikel in Newsweek hieß es, dass dein geschätztes Vermögen wenigstens acht Prozent des mexikanischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Das ist – atemberaubend. Wer hätte am College von so etwas auch nur geträumt?«
»Du hast ja auch ganz schöne Erfolge erzielt. Mach dich nicht kleiner, als du bist.«
Campbell nickte. »Aber das ist nicht mit dem hier vergleichbar. Also, wenn ich mich so in deinem wunderbaren Jet umschaue, frage ich dich noch einmal: Wie hast du das gemacht?«
»Unternehmen gekauft, kluge Investitionen getätigt … Ich weiß das eigentlich gar nicht. Meine Freunde haben mir am meisten geholfen.«
»Sei nicht so bescheiden.«
»Ich meine es ernst. Die Freundschaften, die ich gemacht habe, sind zum wichtigsten Erfolgsfaktor geworden. Du wirst das selbst sehen, wenn wir in Kolumbien sind.«
Campbell dachte ein wenig darüber nach und nickte schließlich. Anscheinend war Rojas seiner Frage erfolgreich ausgewichen. Aber dann fing Campbell doch wieder an: »Glaubst du, es war die Uni? Das erfolgreiche Studium?«
»Klar, das ist es. Freunde und die Uni.«
»Aber das beantwortet noch nicht das wirkliche Geheimnis.«
Rojas runzelte die Stirn. »Und was sollte das Geheimnis sein?«
»Warum so viele deiner Unternehmen die gegenwärtige Wirtschaftskrise so gut überstehen. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, ist bisher keine deiner Firmen pleitegegangen. Wenn man an alle diese Marktschwankungen denkt, ist das wirklich unglaublich.«
Rojas gestattete sich ein kleines Grinsen. »Für mich arbeiten halt wirklich gute Leute und eine ganze Armee von Anwälten, die mich und meine Investitionen schützen.«
»Deine Subway-Restaurants hier in Mexiko machen mehr Geld als die in den Vereinigten Staaten, obwohl die Mexikaner ein geringeres Einkommen haben. Wie machst du das?«
Rojas begann zu lachen. »Wir verkaufen eine Menge Sandwiches.« Plötzlich musste er sich an eine Aufsichtsratssitzung im vergangenen Monat erinnern, als seine Leute ihm die Geschäftszahlen der Autohandelsketten mit ihren Standorten überall in Mexiko vorlegten, die ebenfalls zu seinem Besitz gehörten. Die Zahlen waren absolut enttäuschend. Trotzdem versicherte Rojas seinen Leuten, dass die Händler-Boni nicht nur nicht gekürzt, sondern sogar verzehnfacht werden würden.
»Aber wie schaffen Sie das bei diesen drastisch gesunkenen Verkaufszahlen?«, fragte ihn sein Unternehmenschef. Das war eine gute Frage, und alle an diesem
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