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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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umgekommen war, lag auf der Hand. Henry hatte mit eigenen Augen gesehen, wie das brennende Haus über ihm eingestürzt war. Und niemand hatte ihm zu Hilfe kommen können.
    »Blueskin ist wie eine Ratte«, erwiderte Bess, der das Schicksal von Blueskin näherging, als sie sich selbst eingestehen wollte. »Er findet immer irgendein Schlupfloch, durch das er entkommen kann. Er versengt sich höchstens ein bisschen das Fell. Den bringt so schnell nichts um.«
    »Vielleicht hast du recht«, antwortete Henry, schüttelte aber gleichzeitig mit Bestimmtheit den Kopf. »Aber das ist nicht alles …« Er unterbrach sich, wandte sich um, als hätte er hinter sich etwas bemerkt, und schüttelte dann erneut den Kopf. »Ja, mag sein.«
    Bess hatte den Eindruck, als hätte Henry noch Weiteres zu berichten und wüsste nicht, ob er sich ihr anvertrauen könne. Sie wiederholte seine Worte: »Aber das ist nicht alles?«
    Henry lächelte gequält und fragte: »Hast du was von Jack gehört?«
    »Nein, wie kommst du darauf? Er ist mit Will Page aus London verschwunden, das weißt du doch.« Sie schaute Henry von der Seite an und wurde dabei von der Sonne geblendet, die nun bereits die Baumwipfel im Westen berührte. »Warum fragst du?«
    »Kannst du dir vorstellen, dass er in London geblieben sein könnte?«
    »Warum hätte er das tun sollen?«, antwortete sie und deutete nach rechts, wo ein schmaler Trampelpfad entlang einer Hecke aus Hainbuchen nach Piper’s Green führte. »Die halbe Stadt ist ihm auf den Fersen. Wilds Spitzel werden jeden Stein umdrehen, um ihn zu finden. Jack ist doch nicht lebensmüde. Und er ist kein Dummkopf!«
    »Nein«, sagte Henry und folgte ihr auf dem schmalen Pfad, der von der Hauptstraße aus stetig anstieg. »Jack ist kein Dummkopf. Das bestimmt nicht.«
    Wieder hatte Bess den Eindruck, dass Henry ihr etwas vorenthielt. Dass er mit sich rang und sich nicht dazu entschließen konnte, ihr sein Vertrauen zu schenken.
    »Verschweigst du mir etwas?«, fragte sie geradeheraus.
    »Wo willst du hin?«, antwortete er mit einer Gegenfrage. Bess erinnerte sich an die scharfsinnige Bemerkung des Dr. Arbuthnot, dass ihm ihre Gegenfrage gezeigt habe, dass er einen wunden Punkt bei ihr getroffen habe.
    Bess würde auf diesen wunden Punkt bei Henry zurückkommen, das schwor sie sich, doch zunächst einmal vergalt sie Gleiches mit Gleichem und antwortete geheimnisvoll: »Das wirst du schon früh genug erfahren, Macheath.«
    Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinanderher, während hinter ihnen die Sonne unterging und alles ringsum in ein dunkles Purpur getaucht wurde. Nur die alte Ulme zeichnete sich noch vage erkennbar vor dem östlichen Himmel ab.
    Plötzlich blieb Henry stehen, fasste Bess bei der Hand und stieß hervor: »Bess!«
    Die ebenso überraschende wie feste Berührung und die seltsame Betonung ihres Namens ließen Bess einen Schauer über den Rücken fahren. Sie wandte sich zu Henry um, atmete tief und wusste, was nun kommen würde. Sie machte sich bereit, eine Schuld zu begleichen. Wieder einmal.
    Henry schluckte hörbar, sein Atem ging schwer, und obwohl Bess nur seine Umrisse erkennen konnte, wusste sie, dass er schwitzte und sich seine Wangenmuskeln spannten. Sie kannte das nur zu gut. Es war immer das Gleiche. Doch erneut wurde Bess von Henry überrascht, denn statt sich begierig auf sie zu stürzen, ließ er sie ebenso plötzlich wieder los und sagte: »Mr. Wild hat das Haus in der Dirty Lane angezündet. Er hat Hope getötet und Blueskin damit aus seinem Versteck gelockt. Es war eine Falle.«
    »Was?« Da sie etwas völlig anderes erwartet – vielleicht sogar erhofft? – hatte, dauerte es eine Weile, bis sie die Bedeutung seiner Worte begriff. »Wer behauptet das?«
    »Und ich trage die Schuld daran«, fuhr er statt einer Antwort fort. »Weil ich mich eingemischt habe, sind Blueskin und Hope jetzt tot. Es ist alles meine Schuld. Ich bin ein Mörder, Bess! Schlimmer als der Verräter, der Mr. Wild geholfen hat, die Falle für Blueskin zu stellen.« Wieder fasste er nach ihrer Hand, doch diesmal war der Händedruck weich und beinahe flehend.
    Bess konnte nicht anders. Sie nahm Henry in die Arme und drückte ihn an sich. Wie ein Kind, das getröstet werden musste. Und wie einem solchen Kind liefen Henry nun die Tränen über die glühenden Wangen. Sie hörte ihn schluchzen und drückte ihn noch fester an sich. Und ja, sie gab ihm einen Kuss auf die Schläfe und roch an seinen verschwitzten

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