Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
Vom Netzwerk:
Weil es allem widersprach, was sie sich in quälenden Gedanken ausgemalt hatte. Mr. Milton saß barfuß und mit dem geöffneten Hemd über der Kniebundhose in einem Lehnstuhl, hielt eine Tonpfeife in der Hand und paffte genüsslich vor sich hin.
    »Mistress Lyon!«, rief er, als wäre er tatsächlich überrascht, sie zu sehen. »Entschuldigt meinen nachlässigen Aufzug. Aber mit Eurem Besuch konnte ich ja nicht rechnen. Eine ungewöhnliche Zeit für einen Besuch, das muss ich allerdings bemerken. Was verschafft uns die Ehre? Wollt Ihr Euch das Haus Eurer verstorbenen Eltern anschauen?«
    Mrs. Milton stellte sich neben den Lehnstuhl ihres Mannes, verschränkte die Arme vor der Brust und beäugte Bess voller Abscheu. »Uns hat Mistress Lyon erzählt, dass sie mit den Woodlawns nicht verwandt ist. Na, was will man auch anderes erwarten?« Geringschätzig setzte sie hinzu: »Von so einer!«
    Bess faltete die Hände vor dem Bauch, bemühte sich, nicht auf die Beschimpfungen der Frau zu hören, und wandte sich an Mr. Milton: »Ich habe an der Ulme in Piper’s Green auf Euch gewartet, Sir.« Sie stellte die Korbflasche auf den Tisch und fügte süffisant hinzu: » Ich habe mein Versprechen gehalten.«
    »Von einer Ulme ist mir nichts bekannt«, log Mr. Milton und starrte abwechselnd auf seine Pfeife und die Ginflasche. »Das muss ein Missverständnis sein.«
    »Ihr wolltet mir etwas von einem Bischof erzählen.«
    »Wir wissen nichts von keinem Bischof«, knurrte Mrs. Milton.
    »Ihr hört, was meine Frau sagt«, fügte ihr Mann achselzuckend hinzu.
    »Das hat Mr. Hornby heute Morgen auch behauptet«, sagte Bess, weil sie glaubte, Mr. Milton mit dem Wirt des Little Stanmore Inn aus der Reserve locken zu können. »Und Ihr habt Mr. Hornby deshalb einen Lügner geschimpft.«
    »Niemals würde ich mich erdreisten, meinen Herrn der Lüge zu bezichtigen«, rief Mr. Milton und schlug theatralisch mit der Faust auf den Tisch. »Ich verbitte mir solche Unterstellungen. Was fällt Euch ein!«
    »Euren Herrn?«, wunderte sich Bess. »Was heißt das?«
    »Mr. Hornby war so freundlich, meinen Mann wieder als Stallknecht einzustellen«, antwortete Mrs. Milton anstelle ihres Gatten. »Es gab da einige Missverständnisse, doch die sind nun gütlich aus der Welt geschafft.« Für einen kurzen Augenblick wurde sie wieder zu der grauen, ausgemergelten Frau, die Bess am Vortag erlebt hatte, doch sofort riss sie sich wieder zusammen, setzte ihre unerbittliche Miene auf und wies mit ausgestrecktem Arm zur Tür. »Und jetzt muss ich Euch bitten, dieses Haus zu verlassen.«
    Bess hatte verstanden. Statt Mr. Milton wie Albrecht an einem Strick aufzuknüpfen oder ihn wie Matthew kurzerhand niederzuschießen, hatten sie ihn auf viel einfachere Weise aus dem Weg geräumt. Sie hatten ihn gekauft. Mit einer Anstellung im Little Stanmore Inn. Jedenfalls fürs Erste.
    Bess nickte resigniert und ging zur Tür.
    »Eure Flasche«, sagte Mrs. Milton und deutete zum Tisch. Die Worte seiner Frau hatten auf Mr. Milton die gleiche Wirkung, als hätte man ihm einen Peitschenhieb versetzt. Beinahe hasserfüllt schaute er seine Frau an, und begehrend sah er anschließend zur Ginflasche.
    »Ein Geschenk von Mr. Hornby«, antwortete Bess bitter. »Für geleistete und noch zu leistende Dienste. Ich hoffe, der Branntwein bekommt Euch, Sir!« Damit verließ sie das Haus und machte sich auf den Weg zum Little Stanmore Inn, um die Reisetasche zu packen.
    Bess war den Tränen nah. Und nur die Wut und der Ärger hielten sie davon ab, es Henry nachzumachen und ungehemmt wie ein Kind loszuheulen. Ihre Fahrt nach Edgworth war ein einziger Schlag ins Wasser gewesen. Eine unbedachte und vermutlich folgenschwere Dummheit. Sie hatte nicht das Geringste in Erfahrung gebracht, sich dafür aber zur Zielscheibe gemacht und ihre Feinde (deren Identität und Beweggründe ihr nach wie vor ein Geheimnis waren) alarmiert. Und mit Bess würden sie nicht so nachsichtig umgehen wie mit dem jämmerlichen Mr. Milton, dessen war sie sich sicher.
    »Elizabeth?«
    Bess hatte bereits den Sandweg jenseits der Hauptstraße erreicht, als sie die quäkende Mädchenstimme hinter sich hörte.
    »Was denn, Violet?«, fragte sie gereizt und ohne sich umzudrehen.
    »Rochester.«
    »Wie bitte?« Bess fuhr herum und sah das kleine Milton-Mädchen im Nachthemd am Wegesrand stehen. »Was meinst du damit?«
    »Ich hab alles mit angehört«, antwortete Violet flüsternd und nickte bedeutsam.

Weitere Kostenlose Bücher