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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Scheide an der Seite baumelte, als diente es nur zur Zierde.
    »Sie befindet sich nicht auf dem Anwesen des Herzogs«, mischte sich Mr. Lyon ein und machte einen Schritt nach vorne, wobei er, vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein, die Hacke wie eine Waffe in die Höhe hielt. »Der Friedhof gehört zur Kirche von St. Lawrence, und die befindet sich nicht im Besitz des Herzogs. Das sollte Euch eigentlich bekannt sein, Sergeant.«
    »Ich habe meine Befehle«, antwortete der Soldat und konnte nur leidlich überspielen, dass er überrascht und ratlos war.
    »Eure Befehle kommen vom Herzog«, erwiderte Mr. Lyon, »Mistress Lyon aber steht an diesem Ort unter dem Schutz der Kirche von England. Und damit unter dem direkten Schutz Gottes. Ihr wollt es nicht wirklich auf einen Wettstreit zwischen dem Herzog und unserem allmächtigen Herrn im Himmel ankommen lassen.«
    Dem Sergeant wurde es sichtlich mulmig zumute, doch er gab nicht nach, blieb kerzengerade stehen, räusperte sich und wiederholte die auffordernde Handbewegung, die inzwischen aber etwas unbeholfen und abgenutzt wirkte.
    Bess beendete die Pattsituation, indem sie sich zu Mr. Lyon umwandte, ihm die Hand auf den Unterarm legte und leise sagte: »Habt Dank, Mr. Lyon. Ich weiß es zu schätzen, dass Ihr Euch für mich einsetzt, aber ich will Euch nicht in Schwierigkeiten bringen. Macht Euch den Herzog nicht zum Gegner.« Zum Sergeant gewandt setzte sie hinzu: »Grüßt Dr. Arbuthnot von mir und richtet ihm bitte aus, dass ich seine dichterischen Fähigkeiten durchaus richtig einzuschätzen vermag. Er sollte sein Licht nicht unter den Scheffel stellen.« Damit verließ sie den Friedhof und machte sich auf den Weg zum Little Stanmore Inn. Um auf den Sonnenuntergang zu warten.

6

    Die Stunden bis zum Abend verrannen zäh wie Baumharz. Bess fieberte dem Treffen mit dem ehemaligen Stallknecht derart entgegen, dass sie vom Abendessen – wieder gab es einen verkochten Eintopf, dessen Inhalt vor allem aus Essig zu bestehen schien – keinen Bissen hinunterbrachte. Drei weitere Gäste hatten sich im Laufe des Tages im Inn eingefunden, offensichtlich hatte es sich in Windeseile herumgesprochen, dass der Herzog wieder auf seinem Herrensitz anzutreffen war, und die Bittsteller und fahrenden Händler ließen nicht lange auf sich warten.
    Wie Bess von Tessa erfahren hatte, war auch der Pfarrer von Whitchurch in Little Stanmore eingetroffen, um seinem Herrn und Gönner seine Aufwartung zu machen. Dieser Pfarrer war ein französischer Hugenotte namens Desaguliers, der sich jedoch eher als Wissenschaftler und Philosoph verstand und seine Anwesenheit in der Pfarre auf das absolut Notwendigste reduzierte. Die meiste Zeit verbrachte er in London und überließ die banalen und unerquicklichen Alltagsgeschäfte eines Seelsorgers lieber dem Vikar oder gar dem Küster.
    Als Bess noch in Cannons gearbeitet hatte, war das Gerücht umgegangen, dass der Herzog von Chandos dem Franzosen nur deshalb die Pfründe von St. Lawrence angeboten hätte, damit dieser sich um die Bewässerung seines Gartens kümmern konnte. Es hieß, der Reverend habe ein System von Wasserpumpen und hydraulischen Dränageanlagen entwickelt, mit dem sich riesige Parkanlagen erschließen und kultivieren ließen.
    Von Matthew hatte Bess damals erfahren, dass der in der Gemeinde ungeliebte Hugenotte ein hohes Mitglied irgendeiner geheimen Verbindung von Männern sei, die sich seltsamerweise mit Handwerkstiteln ansprachen, Werkzeuge wie Maurerkelle oder Winkelmaß im Wappen trugen und sich in sogenannten »Pförtnerlogen« trafen.
    Für einen kurzen Augenblick dachte Bess, dass womöglich dieser Geheimbund des Pfarrers etwas mit den Vorfällen vor drei Jahren zu tun haben könnte, doch dann erinnerte sie sich daran, dass Desaguliers gar nicht vor Ort gewesen war, als Matthew zu Tode gekommen war. Außerdem hatte Matthew gemeint, dieser Geheimbund sei keineswegs so geheim und erst recht nicht verschwörerisch. Sonst hätte er, Matthew, auch gar nichts über ihn gewusst.
    Als endlich der Abend dämmerte, kaufte Bess eine in Korb geflochtene Tonflasche mit Gin beim Wirt, die dieser ihr mit einem schrägen Grinsen im Gesicht überreichte, und mit bangem Herzen machte sie sich auf den Weg nach Edgworth. Es war ein herrlicher Herbstabend, die Sonne stand bereits tief, und Bess’ langer Schatten fiel auf den rötlich leuchtenden Sandweg, als wollte er ihr die Richtung weisen. Die kleine Anhöhe mit dem Namen

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