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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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vernachlässigt wirken sollte, war in Cannons Park nichts dem Zufall oder besser der Natur überlassen. Sämtliche Bäume und Hecken waren akkurat gestutzt und oft zu Figuren geschnitten, die Blumenbeete waren als Ornamente angelegt, und selbst der Kies auf den Wegen war nicht einfach gestreut, sondern wirkte wie gepflastert oder wie bei einem Mosaik gesetzt. Auf der Westseite des Herrenhauses und vor den Blicken der Ankommenden verborgen befanden sich die kleine Kapelle, die zu Bess’ Zeit noch eine Baustelle gewesen war, sowie die Gesindehäuser und Arbeitsstätten. Hier waren die Küche, das Waschhaus und die Ställe zu finden. Außerdem hatte der Herzog ein eigenes Brauhaus errichten lassen, damit seine Gäste keinen Durst zu erleiden hatten.
    Beim Anblick des Palastes, der Bess an die italienischen Palazzi oder griechischen Tempel auf den Deckengemälden im Inneren erinnerte, wollte sie kaum glauben, dass dieses Haus die meiste Zeit des Jahres brachlag und der Herzog sein Anwesen mit aller erdenklichen Pracht ausgestattet hatte, nur damit es jetzt leer stand und lediglich den Spinnen und Mäusen ein Zuhause war. Eine Schande!
    »Hast du deine Antworten bekommen?«
    Noch bevor Mr. Lyon die Frage gestellt hatte, hatte Bess seine Anwesenheit in ihrem Rücken gespürt, beinahe wie in der gestrigen Nacht an Matthews Grab. Doch diesmal war sie nicht überrascht oder verängstigt und antwortete mit einem Kopfschütteln, ohne sich umzudrehen und den alten Küster anzuschauen. Sie stand an der Pforte in der Friedhofsmauer und schaute zur Allee, auf der ein Soldat im roten Mantel breitbeinig Wache stand. Es handelte sich um einen der sogenannten »Chelsea Pensioners«, einer Gruppe von altgedienten Kriegsveteranen des Royal Hospital Chelsea, aus denen der Herzog seit jeher seine Wachleute rekrutierte. Vermutlich auch dies aus Kostengründen.
    »Antworten habe ich keine erhalten«, sagte sie schließlich und wandte sich zu Mr. Lyon um. »Dafür aber eine weitere Frage.«
    »Und wie lautet sie?«, fragte Mr. Lyon, der eine Harke und eine Hacke in der Hand hielt und anscheinend dem Unkraut auf dem Friedhof zu Leibe rücken wollte.
    »Kennt Ihr einen Bischof, der kurz vor Matthews Tod in Little Stanmore war?«
    »Bischöfe sind damals in Cannons und Whitchurch ein und aus gegangen«, antwortete der Alte und runzelte die Stirn. »Das solltest du eigentlich wissen, Liz.«
    Bess wunderte sich über die Koseform ihres Namens, die ihr Mann oft benutzt hatte, und entgegnete: »In Whitchurch schon, aber nicht im Little Stanmore Inn.«
    »Nein, gewiss nicht«, erwiderte Mr. Lyon mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht. »Zumindest keine Bischöfe der Kirche von England.«
    »Was meint Ihr damit?«
    »Mr. Hornby ist Papist«, sagte der Küster voller Abscheu. »Auch wenn ich stark bezweifle, dass ihm irgendein Gott oder Papst heilig ist. Sein Götze ist der Mammon, und er huldigt ihm mit Gin und Porter.«
    Bess wusste nicht so recht, was sie mit dieser Information anfangen sollte oder ob sie irgendetwas zur Sache tat. Sie nickte, wandte sich um und fuhr zusammen, als sie den Chelsea Pensionär direkt vor sich stehen sah. Er hatte sich dem Kirchhof genähert, ohne dass Bess seine Schritte auf dem Kies gehört hatte. Auch Mr. Lyon erschrak, weil er den Soldaten nicht hatte kommen sehen.
    »Verzeihung, Ma’am«, sagte der Mann im Rotrock, tippte sich an den schwarzen Dreispitz und nickte Bess mit steifer Miene zu. »Seid Ihr Mistress Elizabeth Lyon?«
    »Ay, die bin ich«, antwortete Bess verwundert.
    »Dann muss ich Euch bitten, das Anwesen des Herzogs augenblicklich zu verlassen, Ma’am.« Er deutete auf den Sandweg vor der Kirche und wiederholte mit fester Stimme: »Augenblicklich.« Mit den goldenen Knöpfen auf dem Bauch, den goldgesäumten schwarzen Ärmelaufschlägen und den bunten Orden auf der Brust sah er sehr würdevoll aus.
    »Warum?«, fragte Bess.
    »Weil der Herzog es befiehlt«, antwortete der alte Soldat mit stoischer Miene.
    Sie haben Angst vor mir, schoss es Bess durch den Kopf, während sie dem starren Blick des Mannes standhielt und sich nicht vom Fleck rührte.
    »Ma’am, bitte!« Wieder der ausgestreckte Arm des Soldaten, der zum Waldweg wies. »Zwingt mich nicht, grob zu werden!« Diese Drohung war angesichts des fortgeschrittenen Alters des Mannes und Bess’ körperlicher Größe nicht sehr einschüchternd. Bess rechnete jedenfalls nicht damit, dass er sein Schwert zog, das ihm in einer silbernen

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