Gegen alle Zeit
»Kann ich nicht einfach nur neben dir schlafen?«
»Weil ich eine Hure bin?«
»Nein, Bess.«
»Sondern?«
»Weil ich dich mag.«
»Versteh einer die Kerle«, sagte sie betont abfällig und versuchte, nicht zu erkennen zu geben, dass seine Antwort sie in höchstem Maß erfreut hatte. Am liebsten hätte sie ihm einen Kuss gegeben, doch stattdessen nahm sie seine kalte Hand, legte sie sich auf den Bauch und sagte: »Gute Nacht, Henry.«
»Schlaf gut, Bess.«
Sie wartete, bis sie sein Schnarchen hörte. Und dann fielen ihr die Augen zu.
9
Als Bess aufwachte, war der Platz neben ihr verwaist. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, es war bitterkalt im Zimmer, die Fensterscheiben waren beschlagen, und als Bess die Stelle befühlte, an der Henry gelegen hatte, spürte sie, dass das Laken noch warm war. Sie roch an dem Kopfkissen und ärgerte sich sogleich darüber. Wie konnte es sein, dass der Geruch nach fettigem Haar sie derart aus der Fassung brachte? »Reiß dich am Riemen, Bess!«, schalt sie sich, zog sich mit wütender Miene an und ging hinunter in die Schankstube, die zu dieser frühen Stunde noch leer war. Nur ein Brutzeln in der Küche und der Geruch nach gebratenem Speck verrieten ihr, dass das Frühstück bereitet wurde. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und sah Tessa mit dem Kochlöffel in der Pfanne herumrühren, während der Wirt hinter ihr stand und ihr mit einer Hand an die Brust und mit der anderen von hinten unter das Kleid griff.
»Verbrennt Euch nicht, Sir!«, sagte Bess übertrieben laut.
Tessa zuckte erschrocken zusammen und fuhr herum, wobei sie Mr. Hornby mit der glühend heißen Pfanne am Handrücken streifte.
Der Wirt schrie vor Schmerz auf und starrte Bess hasserfüllt an. »In der Küche haben Gäste nichts zu suchen«, fauchte er und tauchte die verbrannte Hand in einen Eimer Wasser, der stets einsatzbereit neben dem Herd stand.
»Störe ich?«, fragte Bess.
»Raus!«, knurrte Mr. Hornby.
Bess sah Tessas flehentlichen, ja ängstlichen Blick und nickte. Sie ging zurück in den Schankraum und setzte sich in die dunkle Ecke hinter dem Wandschirm, in der sie gestern mit Dr. Arbuthnot gesessen hatte. Und wie am Vortag kam nach kurzer Zeit Mr. Milton zur Tür herein. Er war nicht betrunken, jedenfalls wankte er nicht wie gestern, und diesmal musste er auch nicht befürchten, vom Wirt unter Tritten und Nasenstübern hinausgeworfen zu werden. Als er Bess am Tisch sitzen sah, fuhr er wie ertappt zusammen, senkte schlagartig den Blick und rief: »Master Hornby? Seid Ihr da?«
Der Wirt kam aus der Küche, einen nassen Lappen um die Hand gewickelt, und fuhr den Stallknecht an: »Was willst du in der Schänke, Kerl? Ab in den Stall mit dir! Sattle den Rappen! Ich muss zur Edgworthberry Farm!«
»Dringende Geschäfte mit dem Gutsherrn?«, fragte Bess.
»Was geht Euch das an?«, fauchte Mr. Hornby und ballte die verbundene Hand. Doch sofort änderte er seinen Tonfall und Gestus. Er lächelte und warf sich in die Brust. »Ihr redet mit einem der beiden neuen Konstabler der Gemeinden Edgworth und Stanmore. Der Squire wird mir heute den Stab übergeben und mich in meine Pflichten einweisen.«
»Gratuliere«, sagte Bess, während Tessa ihr das Frühstück brachte.
»Wozu?«, gab sich der Wirt bescheiden. »Die Arbeit wird schließlich lausig bezahlt, und ich hab eigentlich Besseres zu tun, als Verbrechern das Handwerk zu legen und Landstreicher zu vertreiben. Aber es ist eben die Pflicht eines jeden Gemeindemitglieds, für Recht und Ordnung zu sorgen.«
»Für Ordnung vielleicht«, antwortete Bess und schaute zu Mr. Milton, der eine seltsame Grimasse zog und von einem Bein aufs andere trat, als hätte er eine volle Blase. »Aber mit dem Recht nimmt man es hier in Stanmore nicht so genau. Außer mit dem Recht des Stärkeren.«
Mr. Hornby lachte laut und fragte: »Wart Ihr nicht erfolgreich bei Euren Erkundungen? Das tut mir ausgesprochen leid.« Wieder lachte er, doch dann brüllte er völlig unvermittelt den Knecht an: »Was grinst du so blöde? Raus mit dir, du Mistkerl! Aber ein bisschen plötzlich, sonst ist dein erster Tag auch gleich dein letzter!«
»Ay, Sir!« Mr. Milton salutierte wie ein Soldat und hastete hinaus. In der Tür stieß er beinahe mit Henry Ingram zusammen, der die Schänke im gleichen Augenblick betreten wollte.
»Sachte, guter Mann!«, sagte Henry, schaute sich in dem Schankraum um, nickte dem Wirt zu und rief dann bei Bess’ Anblick überrascht:
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