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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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Kuppel von St. Paul’s und das breite, glitzernde Band der Themse zu erkennen. Direkt vor dem Fenster ragte ein vorsintflutlich anmutender Baukran oder eine Art Seilwinde in den Himmel.
    Zwei uniformierte Wärter und ein sehr junger Bursche im blauen Kittel saßen gelangweilt am Tisch, rauchten Pfeife und betrachteten die Eintretenden mit großen Augen. Vermutlich hatten sie die Abwesenheit der Doktoren genutzt, um unbemerkt ein kleines Päuschen zu machen.
    »Da rein!«, befahl Mr. Bramble und deutete auf die hintere der beiden Holztüren.
    Der Blaukittel sprang auf und wandte sich an den Wundarzt: »Was ist passiert, Master?«
    »Vermutlich Fleckenfieber, Duncan«, antwortete Mr. Bramble. »Wir müssen ihn zur Ader lassen. Du gehst mir zur Hand!«
    »Ay, Sir«, sagte der junge Mann, vermutlich ein Lehrling des Wundarztes, und schloss die Tür auf.
    Henry wurde in einen Raum getragen, der ihn im ersten Augenblick an einen Schlachthof erinnerte, vermutlich wegen der glasierten Tonziegel und hellen Keramikfliesen, mit denen der Fußboden und die untere Hälfte der Wände verkleidet waren. Auch der weiß getünchte Steintisch in der Mitte des Raumes hatte etwas von einer Schlachtbank. Henry dachte an den Aderlass, der ihm gleich bevorstand, und begriff, weshalb der Raum so reinigungsfreundlich gestaltet war.
    Es befand sich nur wenig Mobiliar in dem Laboratorium. Ein Stehpult, ein Drehhocker, ein großes Wandregal, gefüllt mit diversen Tiegeln, Pfannen, Bottichen und Flaschen, außerdem ein niedriger Tisch, auf dem verschiedene Werkzeuge und Instrumente auf einem weißen Tuch ausgebreitet waren. Wie in dem Vorraum gab es ein vergittertes Fenster, das nach Süden ging. Außerdem führte eine doppelflügelige, mit Intarsien versehene Holztür auf der gegenüberliegenden Seite in den Nachbarraum. Womöglich das Büro oder der Privatraum des abwesenden Dr. Featherstone.
    Henry wurde mit Schwung auf dem Steintisch abgelegt, wobei er sich heftig den Hinterkopf stieß, und ehe er sich versah, hatte man seine Arme von den Handschellen befreit und in ausklappbare Vorrichtungen gepresst, die er zuvor gar nicht bemerkt hatte. Dort wurden sie mit Lederriemen festgezurrt. Vor Aufregung und Angst vergaß er sogar das Stöhnen und Ächzen.
    »Weg mit den Fußfesseln«, sagte Mr. Bramble bestimmt.
    »Kommt nicht infrage«, empörte sich Mr. Wild.
    »In seinem Zustand kann er ohnehin nicht laufen«, beharrte der Wundarzt und gab Seamus ein Zeichen.
    Der Wärter nickte und nahm Henry die Fußschellen ab.
    »So, und jetzt alle Gaffer raus!«, sagte Mr. Bramble ruhig, aber bestimmt.
    »Wie bitte?«, rief Mr. Wild. »Was unterstehst du dich, Bürschchen?«
    Der Wundarzt hielt Mr. Wild eine Art Skalpell vor die Nase, das jedoch keine Klinge hatte, jedenfalls keine sichtbare. »Wollt Ihr den Schnepper selbst bedienen, Sir?«, fragte Mr. Bramble und drückte auf einen Knopf oder Hebel. Eine spitze Klinge sprang heraus und im nächsten Augenblick wieder zurück in ihre Versenkung.
    Mr. Wild zuckte erschrocken zurück.
    »Oder möchtet Ihr doch lieber zu Eurem Dolch greifen?«, fragte der Wundarzt. »Damit der Mann auf jeden Fall das Zeitliche segnet?«
    »Ich will nur sichergehen, dass der Kerl nicht verschwindet«, antwortete Mr. Wild grimmig. »Und gleich anschließend muss ich mit ihm sprechen.«
    »Wohin sollte er wohl verschwinden? In Bedlam sind alle Fenster vergittert und sämtliche Türen verschlossen. Schaut Euch den Mann an, er ist mehr tot als lebendig.« Dann ergänzte Mr. Bramble mit seltsamer Betonung: »Und anschließend wird der Mann überhaupt nichts mehr können. Reden schon gar nicht.«
    »Warum nicht?«, fragte Mr. Wild das, was auch Henry auf der Zunge lag.
    »Weil er bewusstlos sein wird.«
    Henrys Angst steigerte sich zur Panik. Sein Herz raste nun auch ohne Hyperventilieren, und der Schweiß stand ihm in dicken Perlen auf der Stirn.
    »Was heißt das?«, fauchte Mr. Wild.
    »Die Behandlung des Fleckenfiebers verspricht nur Erfolg, wenn so viel schlechtes Blut abgeflossen ist, dass dem Patienten die Sinne schwinden«, erklärte Mr. Bramble mit geringschätzigem Grinsen im Gesicht. »Erst dann ist die Reinigung erfolgt und das Gleichgewicht der Säfte hergestellt.«
    »Wie lange wird er ohnmächtig sein?«, fragte der Diebesfänger.
    »Ein paar Stunden, das kommt ganz darauf an.« Und nach einem Räuspern fügte er hinzu: »Falls er überhaupt wieder aufwacht. Das liegt allein in Gottes allmächtiger

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