Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
Vom Netzwerk:
Hand.«
    Henry glaubte eigentlich nicht an einen allmächtigen Gott, dennoch sandte er ein unhörbares Stoßgebet zum Himmel.
    Mr. Wild stand eine Weile unschlüssig da, rang die Hände und schaute unruhig zwischen Henry und Mr. Bramble hin und her.
    »Meinetwegen«, sagte er schließlich und fuhr auf dem Absatz zu Hell and Fury herum. »Du hältst vor der Tür Wache! Hier kommt niemand rein oder raus, den du nicht in Augenschein genommen hast.«
    Sykes nickte, Mr. Wild wies die Richtung zur Tür, und der Tross verließ das Laboratorium.
    »Wisst Ihr eigentlich, wen Ihr gerade zurechtgewiesen habt?«, fragte der junge Mann im Blaukittel verblüfft, als sie allein im Raum waren. »Das war Mr. Jonathan Wild.«
    »Ich weiß, Duncan«, antwortete Mr. Bramble und schnaufte abfällig.
    » Der Jonathan Wild«, sagte Duncan.
    Mr. Bramble nickte wissend und sagte: »Dieser ehrenwerte Mr. Wild hat meinen Vater hinter Gitter gebracht.«
    »Tatsächlich?«, wunderte sich der Lehrling. »Was hat er verbrochen?«
    »Nichts. Wegen ein paar Pfund Mietschulden hat mein Vater monatelang im Schuldgefängnis gesessen. Mr. Wild ist unser Vermieter.« Mr. Bramble deutete auf den Schnepper in seiner Hand und ließ die Klinge springen. »Können wir?«
    Der Lehrling nickte, während er gleichzeitig eine glasierte Tonschüssel unter Henrys linken Arm hielt. »Ihr wärt vermutlich nicht traurig, wenn der da nicht mehr aufwacht und Mr. Wild nichts mehr erzählen kann, was?«
    Jetzt lachte Mr. Bramble, presste den Schnepper in Henrys Armbeuge und drückte auf den Knopf. »Könnte sein, dass Mr. Wild etwas länger warten muss«, sagte er und wiederholte die Prozedur am Handgelenk.
    Henry wurde schlecht. Natürlich wusste er, dass der Aderlass eine zwar unsinnige, aber an sich nicht lebensbedrohliche Behandlung darstellte, doch als das Blut an seinem Arm nach unten lief und von den Fingerspitzen in die Schüssel tropfte, wurde ihm schwindelig. Die letzte Bemerkung des Wundarztes beruhigte ihn nicht gerade, denn sie wollten ihm anscheinend mehr Blut abzapfen als zwingend nötig, und in seinem ohnehin geschwächten Zustand war solch ein Blutverlust nicht ohne Risiko. Dem siechen George Washington war angeblich ein Aderlass zum Verhängnis geworden, wie Henry mal gelesen hatte.
    Der Wundarzt und sein Lehrling widmeten sich inzwischen dem rechten Arm und ritzten auch ihn an mehreren Stellen. Es zwickte ein wenig, tat aber nicht besonders weh. Allerdings hoffte Henry, dass der Schnepper einigermaßen sauber gewesen war. Der Wert von Keimfreiheit und Desinfektion war schließlich noch nicht bekannt. Um kein Risiko einzugehen, inszenierte Henry vorzeitig die erwartete und erwünschte Ohnmacht. Er seufzte leicht, sein Brustkorb bebte, dann atmete er tief aus, schloss die Augen und ließ seinen Kopf zur Seite fallen.
    »Na, das ging aber schnell«, hörte er den Lehrling sagen.
    »Zu schnell«, antwortete Mr. Bramble. »Das Blut ist noch dunkel.«
    Weil es aus der Vene kommt, du Dummkopf!, hätte Henry am liebsten gerufen. Doch da er gerade in Ohnmacht gefallen war, konnte er jetzt nicht plötzlich wieder aufwachen und den beiden Stümpern den Blutkreislauf erklären. Der hätte im Jahr 1724 ohnehin seit Langem bekannt sein sollen. Eigentlich.
    Ein Gutes hatte seine falsche Ohnmacht immerhin: Die beiden Lederfesseln an seinen Oberarmen wurden entfernt. Was jedoch dazu führte, dass das Blut nun schneller floss und die Wunden zu brennen begannen. Nach einer Weile spürte Henry seine Hände nicht mehr, als wären sie taub oder eingeschlafen, nur kribbelten sie nicht. Dann merkte er, wie sich Müdigkeit in ihm breitmachte, sein Kopf war wie leer gefegt. Er musste an Ostern denken, wegen der ausgeblasenen Eier. Er lachte, ohne die Lippen zu bewegen oder einen Ton von sich zu geben. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren, die Gedanken schweiften ab. Das gleichmäßige Plätschern des Blutes machte ihn schläfrig. Er wehrte sich dagegen und war doch nicht in der Lage dazu.
    Es war keine gute Idee gewesen, die Augen zu schließen und eine Ohnmacht zu simulieren, dachte er noch, bevor ihm die Sinne schwanden.

6

    »Er bewegt sich.« Eine unangenehm piepsende Stimme. »Wurde aber auch Zeit.«
    Henry spürte eine kalte Hand auf seiner Stirn, eine weitere auf seiner Brust, und er hörte eine sonore Stimme sagen: »Das Fieber ist zurückgegangen, der Puls ist flach, aber normal. Der Mann scheint vorerst über den Berg zu sein. Gute Arbeit,

Weitere Kostenlose Bücher