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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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machte es ihm vor. Vom First aus landete er mit einem großen Satz auf dem relativ breiten Dachsims des Nachbargebäudes. George und Godfrey taten es ihm im nächsten Augenblick nach, und wie es sich für Zwillinge gehörte, sprangen sie gleichzeitig.
    Sie hatten offensichtlich alle viel Erfahrung darin, sich katzengleich zu bewegen, denn die Konstabler vor der Tür bemerkten nicht, was über ihren Köpfen vor sich ging. Und selbst wenn sie nach oben geschaut hätten, hätte ihnen die vorkragende Fassade die Sicht auf die Flüchtenden genommen.
    »Das schaff ich nicht«, sagte Bess und hielt sich an einem der Schornsteine fest. »So weit kann ich nicht springen.«
    »Das musst du auch nicht«, meinte Jack, der die Luke hinter sich geschlossen hatte und nun wie ein Zirkusclown mit der langen Holzleiter in den Händen und dem Federhut auf dem Kopf den Dachfirst entlangbalancierte. Er stellte die Leiter auf den seitlichen Giebelvorsprung, trat mit dem Fuß auf die unterste Sprosse und ließ das andere Ende vorsichtig zu George auf den benachbarten Dachsims fallen. »Bitte schön, M-Madame!«
    Auf allen vieren kroch Bess über die Leiter, zwanzig Fuß unter sich einen dampfenden Misthaufen, zwei Schweine in einer Suhle und die Latrinen der Schänke, und wurde vom belustigt feixenden George in Empfang genommen. Nachdem Henry und Jack ebenfalls das Nachbarhaus erreicht hatten, zog George die Leiter zu sich herüber und versteckte sie hinter einer niedrigen Balustrade aus hellem Sandstein. Erst als Henry diese mit Ornamenten verzierte und für ein Wohnhaus höchst ungewöhnliche Balustrade sah, begriff er, dass sie sich auf einem seitlichen Vordach des Theatre Royal befanden.
    Als hätte Jack seine Gedanken gelesen, klopfte er ihm auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Na, Schauspieler, Lust auf ein bisschen T-Theater?« Und statt eine Antwort abzuwarten, kroch er flink wie eine Katze auf den Knien den Dachsims entlang, vorbei an den beiden Theatereingängen, bis er die zur Drury Lane hin gelegene Seite des Theaters erreicht hatte. Dort angekommen, grinste er und deutete nach unten. An einem Seil, das offensichtlich genau für diesen Zweck an einem eisernen Ring befestigt war, ließ er sich hinab auf die Straße. Als die anderen, ebenfalls auf Händen und Knien, an dem im Mauerwerk verankerten Eisenring ankamen, war Jack Sheppard längst im Gewimmel der schmalen Gassen und düsteren Hohlwege verschwunden.

5

    Was wusste Henry über Zeitreisen? Eigentlich nichts, außer dass es sie nicht gab. Dass sie ein verlockendes Gedankenspiel, aber eben völlig unmöglich waren. Jedenfalls solange die Menschen sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit oder noch schneller fortbewegten (wenn er das wenige, das er über Einsteins Theorien gehört hatte, richtig verstand). Oder galt das nur für Reisen in die Zukunft? Und was hatte es noch mal mit dieser seltsamen Raum-Zeit-Krümmung auf sich?
    Nein, Zeitreisen waren nichts als Fantasie und Fiktion. Hanebüchener Stoff für Romane und Filme. Science-Fiction! Ein wenig ärgerte er sich, dass er sich bislang nicht so sehr für diese Art von Geschichten interessiert hatte. Zwar hatte er H. G. Wells’ Die Zeitmaschine gelesen, und natürlich hatte er die Zurück-in-die-Zukunft -Filme und Time Bandits im Fernsehen gesehen, aber für Science-Fiction und Fantasy-Romane hatte er nie etwas übriggehabt. Zeitreisen hatten ihn stets ebenso angeödet wie Fahrten in Raumschiffen und Spekulationen über außerirdisches Leben.
    Vor einigen Jahren hatte er einmal eine ziemlich originelle BBC-Krimiserie gesehen, in der ein Polizist aus dem heutigen Manchester oder Liverpool nach einem Autounfall in den 1970er-Jahren aus der Ohnmacht aufwachte und dort ein Verbrechen aufklären musste, das direkt mit seiner eigenen Vergangenheit zusammenhing. Was des Rätsels Lösung gewesen und ob der Polizist am Ende in die Gegenwart zurückgekehrt war, daran konnte sich Henry nicht erinnern, aber beinahe wünschte er sich, ihm wäre es wie dem Polizisten in der Serie ergangen. Was waren schon die Siebziger des 20. Jahrhunderts gegen die Dreißiger des 18. Jahrhunderts? Henry war nicht nur dreißig, sondern beinahe dreihundert Jahre durch die Zeit gereist. Was natürlich völlig unmöglich oder irrsinnig war. Undenkbar! Und damit schloss sich der Kreis.
    Wenn er aber kein Zeitreisender war, was folgte daraus? Was hatte er den ganzen Tag getrieben? Und vor allem wo und mit wem? Wenn dies alles nur Hirngespinst und

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