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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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New Prison schienen ihm wie ein harmloses Abenteuer vorzukommen, das es mit frohem Sinn zu bestehen galt. Zweifel schien er nicht zu kennen. Gleichzeitig stellte Bess voller Bewunderung fest, wie präzise und genau Jacks Verstand arbeitete und wie wenig dieser Verstand durch äußere Widrigkeiten aus dem Takt geriet. Während er gleichzeitig herumscherzte und sich über seine Gegner oder mögliche Hindernisse lustig machte, arbeitete er in seinem Inneren wie ein Besessener daran, diese Gegner auszuschalten und alle Hindernisse zu überwinden. Auf alles wusste er eine Antwort.
    Jack imponierte Bess, und sie war stolz, an seiner Seite zu sein. Doch zugleich war sie ihm auf beinahe widersinnige Weise böse. Denn er hatte sie nun noch verbundener und abhängiger gemacht. Die Waage der Schuld war weiter ins Ungleichgewicht geraten. Zum zweiten Mal hatte Jack ihr die Freiheit geschenkt, hatte sie aus einer Zelle befreit, und doch hatte Bess das Gefühl, als wären ihr Ketten angelegt worden. Unsichtbare Ketten, für die es keine Feilen gab.
    Nur wenige Tage nach ihrer Flucht aus dem New Prison erschien Blueskin auf der Bildfläche und diente sich dem allseits umjubelten Jack als treuer Freund und tatkräftiger Mann fürs Grobe an. Blueskin, der eigentlich Joseph Blake hieß, war unlängst aus dem Gefängnis in der Wood Street entlassen worden, in das ihn Jonathan Wild vor knapp zwei Jahren gebracht hatte. Mit Billigung des Diebesfängers, wenn nicht gar auf dessen Geheiß, war er nun vorzeitig auf freien Fuß gesetzt worden. Es hieß, Blueskin habe sich seine Freiheit mit dem Verrat der ehemaligen Weggefährten erkauft, die allesamt hingerichtet worden waren. Vielleicht nur ein Gerücht. Und wahrscheinlich nur ein Zufall, dass die Freilassung mit Jacks Flucht zusammenfiel. Doch an Zufälle glaubte Bess schon lange nicht mehr. Zufälle waren eine Erfindung der Gutgläubigen und Einfältigen.
    Und deshalb hatte sie jetzt so alarmiert reagiert, als plötzlich und wie aus dem Nichts dieser Henry Ingram aufgetaucht war und ihr im Newgate aus der Patsche geholfen hatte.

3

    »Sagt dir eigentlich der Name John Gay etwas?«
    Bess wäre beinahe der Löffel aus der Hand gefallen. Nur mit Mühe schaffte sie es, in ihre Schüssel mit Biersuppe zu starren und ihrem Gegenüber nicht zu erkennen zu geben, dass die Frage sie aus der Fassung gebracht hatte.
    »John Wer ?«, fragte sie, nachdem sie sich geräuspert und ihre Überraschung mit einem getränkten Stück Brot heruntergeschluckt hatte.
    »Gay«, antwortete Henry Ingram, alias Captain Macheath, und fügte schmatzend hinzu: »Ein Dichter und Schriftsteller der Bühne.«
    Sie saßen sich am Ecktisch im Schankraum der Cross Keys Tavern gegenüber und löffelten die mit Butter und Brotkrumen angedickte Biersuppe, die Mutter Needhams Köchin ihnen zum Frühstück aufgetischt hatte. Bess versuchte aus Ingrams Gesicht abzulesen, ob seine Frage einen bestimmten Hintersinn hatte und warum er so dumm oder dreist war, diese Frage zu stellen. Doch der junge Mann, der ihr so seltsam und zugleich so undurchdringlich erschien, schaute sie freundlich lächelnd an und tat so, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, sich ausgerechnet nach jenem Menschen zu erkundigen, den Bess am heutigen Tag aufsuchen wollte. Und nach dem sie monatelang Ausschau gehalten hatte.
    »Nie gehört«, sagte sie und senkte den Blick. »Was willst du denn von dem Dichter? Bist du ein Schauspieler oder so was?«
    »Oder so was«, wiederholte Ingram, lachte leise und nickte. »Jedenfalls war ich das mal. Ich hoffe, dass Mr. Gay mir helfen kann, nach Hause zu kommen. Das ist zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber was ist an alldem hier schon wahrscheinlich?« Er breitete die Arme aus und machte eine ausladende Bewegung.
    »Wo ist dein Zuhause?«, fragte Bess, die peinlich darauf achtete, dass keine Suppe auf ihr Kleid tropfte. Sie hatte das schlichte Kleid aus dunkelrotem Samt mit Bedacht ausgewählt. Es war im Dekolleté nicht allzu freizügig geschnitten und wirkte zugleich elegant und bescheiden. Zwar war es für die Sommerzeit eigentlich zu warm, doch es war ihr einziges Kleid, das nicht sofort die Hure verriet.
    »Ich wohne in Lower Marsh, Lambeth«, antwortete Ingram und lachte, als wäre das ein besonders lustiger Witz.
    »Den Weg zum Lambeth Marsh kann ich dir zeigen, dafür brauchst du keinen Dichter oder Schriftsteller. Du gehst einfach über die London Bridge und …«
    »Ich hab mich nicht verlaufen,

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