Gegen alle Zeit
von St. Lawrence. Diese Kirche, nur einen Steinwurf vom Herrenhaus entfernt, hatte der Herzog von Chandos vor einigen Jahren für viel Geld und mit ebenso viel Liebe herrichten lassen. Die Wände und Decken waren von italienischen Malern bepinselt, die Umbauten von namhaften Architekten durchgeführt und der aufwendig gestaltete Altarraum mit einer herrlichen Orgel ausgestattet worden. Und damit der Herzog in der sonntäglichen Messe nicht immer das Gleiche zu hören bekam, hatte er einen deutschen Kapellmeister und Komponisten engagiert, der ihm in regelmäßigen Abständen ein neues Musikstück zu arrangieren und zu präsentieren hatte.
Wie fast alle Deutschen, die Elizabeth in Cannons oder auch später in den Diensten von Mutter Needham erlebt hatte, war Mr. Pepusch mürrisch, maulfaul und vollends humorlos. Und vielleicht war es gerade das, was ihn bei den lärmenden und lästernden Dichtern so beliebt machte. Mr. Pope konnte sich hinsichtlich seines scharfen Geistes überlegen fühlen, Mr. Gay schien den spröden Deutschen wie ein interessantes und seltenes Insekt zu studieren, und Dr. Arbuthnot hatte anschließend ausreichend Material für seinen beißenden Spott. Mr. Pepusch schien sich daran nicht zu stören, ja er lachte sogar über die Witze, die auf seine Kosten gemacht wurden. Vielleicht weil er sie schlichtweg nicht verstand.
Der Herzog von Chandos hatte jedoch nicht nur einen Kapellmeister in seinen Diensten, sondern auch die dazugehörige Kapelle samt Chor, welche die sonntäglichen Messen in der Hauskirche von Whitchurch begleiteten und gestalteten. Elizabeth verstand nicht viel von Musik und von Kirchenmusik noch weniger, aber wenn sie in der schmalen Gesindeloge saß, gleich neben der herrschaftlichen Loge auf der Empore über dem Eingang, und den Klängen der Instrumente und Stimmen lauschte, dann ging ihr das Herz über, und sie fühlte sich Gott so nah, wie es der Komponist gewesen sein musste, als er diese Musik erschaffen hatte. Der Lobgesang »Te Deum Laudamus«, der immer ein Höhepunkt der Messe war, verursachte ihr in regelmäßigen Abständen eine Gänsehaut und ließ sie nicht selten die erhabenen Worte mitflüstern: »Dich, Gott, loben wir. Dich, Herr, preisen wir.«
Ihr Mann Matthew, obwohl Küster von St. Lawrence und entfernt verwandt mit Reverend Gunn, dem Vikar der Gemeinde, konnte mit ihrer Begeisterung für das herzogliche Orchester wenig anfangen und verfolgte ihre Hinwendung zur Kirchenmusik mit Skepsis und Argwohn. Matthew Lyon war ein herzensguter, aber schlicht gestrickter Kerl, den Elizabeth im jungen Alter von sechzehn Jahren geheiratet hatte, schlicht weil er der Erste gewesen war, der um ihre Hand angehalten hatte. Sie hätte vermutlich jeden Freier akzeptiert, der sie aus dem beengten Elternhaus befreite. Und aus der Sicht der Eltern war er eine gute Partie. Matthew war zehn Jahre älter als Elizabeth, kannte die Familie des Tagelöhners Woodlawn seit seiner Kindheit und hatte Elizabeth im Sommer 1720 die Stelle als Dienstmagd in Cannons verschafft – vermutlich um sie in seiner unmittelbaren Nähe zu haben. Dass sie wenig später heirateten, war in gewisser Weise naheliegend und letztlich der gebührende Dank für ihre Befreiung.
Elizabeth konnte zwar nicht behaupten, je in Matthew verliebt gewesen zu sein, aber davon abgesehen, konnte sie nichts Nachteiliges über ihn sagen. Er schlug sie nicht, trank nicht, fluchte nie und ließ ihr in den meisten Dingen ihren Willen. Nur dass sie so häufig in der Kirche herumschlich, um heimlich von der Empore aus die Proben des Orchesters zu belauschen, wollte ihm nicht gefallen und führte oftmals zu Streitereien. Er behauptete, als Kirchendiener müsse er darauf achten, dass die Proben in Whitchurch störungsfrei verliefen. So laute der ausdrückliche Befehl des Herzogs. Vielleicht ahnte Matthew aber auch, dass Elizabeths plötzliche Liebe zur Musik einer Vorliebe für ein bestimmtes Instrument entsprang. Oder besser gesagt, ihrer Vorliebe für den Virtuosen, der dieses Instrument so meisterlich beherrschte.
Albrecht Niemeyer war Oboist in Mr. Pepuschs Kapelle und galt als einer der begnadetsten Holzbläser, den es in jener Zeit in London zu bewundern gab. Angeblich hatte sich der Herzog höchstselbst derart bewundernd über den deutschen Oboisten geäußert.
Mr. Niemeyer war ein groß gewachsener Mann mit feinen Gesichtszügen und stets ernstem Blick. Er hatte langes, dunkles und lockiges Haar, das er nicht
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