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Gegen alle Zeit

Gegen alle Zeit

Titel: Gegen alle Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Finnek
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freigiebiger Mann, hatte sich seine Dichter, Maler und Musiker genauso gehalten, wie er die Mätressen und Geliebten um sich geschart hatte. Doch während die Mistresses (egal ob wohlhabende Madams oder besitzlose Mägde) sich ihrer niederen Position zumeist bewusst waren und nur heimlich oder bei Nacht in Erscheinung traten, ließen sich die Künstler hofieren, als wären nicht sie es, die wie Bettler von der Hand in den Mund lebten, sondern als täten sie dem Herzog einen unschätzbaren Gefallen, wenn sie sich von ihm aushalten ließen. Manche von ihnen hatten überhaupt kein eigenes Zuhause, sondern wanderten von einem Förderer und Gönner zum nächsten, stets darauf bedacht, kein Geld für Unterkunft oder Kost aufbringen zu müssen. Parasiten mit Schreibfeder oder Musikinstrument.
    Bess war damals Dienstmagd in Cannons gewesen und hatte einige dieser eingebildeten Pinsel erlebt, die sich wie selbstherrliche Könige aufführten und meist nur untereinander verkehrten, in sogenannten Zirkeln oder Clubs, die sie wie Geheimbünde pflegten. Den Umgang mit dem gewöhnlichen Volk mieden sie wie die französische Krankheit. Dabei waren sie längst von einer Seuche befallen, die nach Bess’ Meinung viel schlimmer war als die Syphilis: Erbärmlichkeit!
    Einer dieser Künstlerzirkel nannte sich »Scriblerus Club« und bestand unter anderem aus den drei befreundeten Schriftstellern Alexander Pope, John Arbuthnot und John Gay. Hin und wieder trafen sie sich im zehn Meilen nördlich von London gelegenen Cannons House, dem angeblich schönsten und teuersten Herrenhaus in ganz England, und weil sie darauf bestanden, dass Bess, die damals noch Elizabeth genannt wurde, sie während ihrer Treffen mit Speisen und Alkohol versorgte, erhielt sie eine besondere und eigenartige Lektion darin, was man gemeinhin unter den schönen Künsten verstand. Es war vor allem der jüngste von ihnen, Mr. Pope, der keine andere Dienstmagd akzeptierte und geradezu darauf versessen war, von Elizabeth bedient zu werden, allerdings nur, um sie dabei mit seinen Blicken zu verschlingen und mit seinen knochigen Fingern zu betatschen.
    Mr. Alexander Pope war der wohl hässlichste und jämmerlichste junge Mann, den Elizabeth je zu Gesicht bekommen hatte. Er war kleinwüchsig, keine fünf Fuß groß, und hatte stets entzündete Augen, die in seinem milchweißen Gesicht wie leuchtende Furunkel aussahen. Das Schlimmste aber war sein verkrüppelter Rücken. Sein Rückgrat war verbogen wie eine Uhrfeder und endete unterhalb des Kopfes in einem riesigen Buckel, mit dem er auf jedem Jahrmarkt hätte auftreten können. Doch trotz seines abstoßenden Äußeren war dieser Mr. Pope zugleich der selbstgefälligste und eitelste Mensch, den Elizabeth in ihren damals sechzehn Lebensjahren getroffen hatte. Er plusterte sich vor ihr auf, zierte sich wie eine Opernsängerin und hielt lange und verschnörkelte Lobreden auf ihre Schönheit, ihre Weiblichkeit und ihre Jungfräulichkeit, während er ihr gleichzeitig unter die Röcke griff und sich nichts sehnlicher zu wünschen schien, als ihr ebendiese Jungfräulichkeit zu nehmen. Wäre Mr. Gay seinem widerlichen Freund, der zudem den Alkohol nicht vertrug, nicht manches Mal in die Hand gefallen, so hätte Mr. Pope sich vermutlich an ihr vergangen, wenn er sich gegen Elizabeth hätte behaupten können.
    Das dritte Mitglied des Clubs war eigentlich Arzt und Mathematiker und wurde von den anderen stets nur »Doktor« genannt. Dr. Arbuthnot war der Älteste von ihnen und unterschied sich von seinen Mitstreitern darin, dass er keine Gedichte über die Anmut der Frauen oder Hymnen auf die Schönheit der Natur schrieb, sondern über alles lästerte und jeden herzog, der ihm unter die Augen kam. Ihm schien die ganze Welt zuwider zu sein, und diesen Widerwillen verbarg er hinter abfälligem Lachen und süffisantem Grinsen. Wenn er den Mund auftat, so konnte man sicher sein, dass eine humorvoll gestaltete Gemeinheit herauskam. Aber wenigstens ließ er Elizabeth in Ruhe, ja er schien sie nicht einmal zu bemerken, wenn sie ihm Wein nachgoss oder die angetrocknete Bratensoße vom Kinn tupfte.
    Immer wieder nahmen weitere Freunde und Kollegen an den Treffen der Scribler teil. Zu diesen Freunden zählte auch Johann Christoph Pepusch, und obwohl er Musiker und kein Dichter war, schien er ein gern gesehener Gast bei den Treffen in Cannons House zu sein. Mr. Pepusch war Deutscher und arbeitete als Kapellmeister in Whitchurch, der Kirche

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