Gegen alle Zeit

soll.« Blueskin deutete auf die Tür, die kaum auszumachen war. »Sonst wär an der Tür nicht nur ein lächerlicher Holzriegel. Oder sie hätten die Tür gleich zugemauert.«
    »Wieso kennst du dich so gut aus?«, wollte Henry wissen und erinnerte sich an Hopes Worte. »Warst du hier als Gefangener oder als einer von Wilds Leuten?«
    »Kommt doch im Endeffekt aufs Gleiche raus«, antwortete Blueskin und zog Henry an der Joppe hinter sich her. »Wenn uns jemand begegnet, dann halt gefälligst das Maul und benimm dich unauffällig. Schaffst du das?«
    »Blöde Frage«, antwortete Henry beleidigt.
    Blueskin knurrte abfällig und führte Henry den niedrigen Gang entlang, der nach hinten hin ein wenig anstieg und sich verbreiterte. Schließlich gelangten sie an eine Stelle, an der sich der Gang gabelte. Sie wandten sich nach rechts und befanden sich kurz darauf in völliger Finsternis. Wieder eine Gabelung und noch eine, und irgendwann sahen sie am Ende einer Sackgasse einen Lichtschein. Eine Leiter war an die Mauer gestellt und führte durch eine Öffnung in der Decke ins obere Stockwerk. Von dort stammte der Lichtschein, und leise Stimmen waren zu vernehmen.
    »Dann mal los«, sagte Blueskin, atmete tief durch und stieg auf die unterste Sprosse.
    »Du willst doch wohl nicht da rauf?«, zischte Henry leise und blieb stehen.
    »Du kannst gern unten bleiben, aber dann wirst du Bess nie finden. Es gibt keinen anderen Weg.« Blueskin deutete nach oben und setzte augenzwinkernd hinzu: »Wer ist nun der Angsthase?«
    Henry schluckte und verharrte reglos an Ort und Stelle. Plötzlich erkannte er das selbstmörderische Wagnis, auf das er sich eingelassen hatte. Falls Bess recht hatte und Blueskin einer von Wilds Spitzeln war, dann würde er Henry direkt in die Arme des Diebesfängers führen. Und wenn Blueskin kein Spitzel war, wie er behauptete, dann würde er auf der Stelle ertappt. Seine Hautfarbe würde ihn als Jack Sheppards Kumpan verraten.
    »Memme!«, zischte Blueskin verächtlich und stieg die Leiter hinauf.
    Henry zögerte einen Moment und folgte ihm dann. Wider besseres Wissen.
    Durch die Öffnung gelangten sie in einen etwa quadratischen und fensterlosen Raum, von dem links und rechts mehrere Türen abgingen. Auf dem Boden standen allerlei Kisten und Truhen, und an der hinteren Wand befand sich ein Tisch, auf dem eine Kerze brannte. Zwei Männer saßen am Tisch und spielten Karten. Als sie die beiden Ankömmlinge sahen, sprangen sie auf, zogen einen Degen und ein Messer und bauten sich vor ihnen auf.
    »Wo kommt ihr denn her?«, fragte der eine, ein dicker Kerl mit Vollbart.
    »Aus dem Keller«, antwortete Blueskin.
    »Das sehen wir auch«, meinte der zweite Mann, ein schmaler Jüngling mit Hakennase und fliehendem Kinn. Er betrachtete erstaunt Blueskins dunkles Gesicht, hielt ihm das Messer vor die Nase und fragte: »Und wo wollt ihr hin?«
    »Quilt Arnold hat uns in den Weinkeller geschickt, aber irgendwie haben wir uns verlaufen. Wir standen plötzlich am Fleet. Ist ja wie ein Irrgarten.«
    »Das ist der Sinn der Sache«, lachte die Hakennase und steckte das Messer ein. »Neu hier, was?«
    »Eigentlich nicht«, antwortete Blueskin und schaute sein Gegenüber freundlich lächelnd an. »War aber lange nicht mehr in Mr. Wilds Haus. Hat sich ’ne Menge verändert in den letzten Jahren.«
    »Du bist Blueskin«, sagte der Dicke mit dem Vollbart, und es klang nicht eben freundlich. »Hab ’ne Menge von dir gehört. Nicht nur Gutes!«
    » Der Blueskin?«, fragte der Schmale mit der Hakennase.
    »Unverkennbar«, sagte Blueskin, ohne auf die Bemerkung des Dicken einzugehen. Er hob die Mütze an und lachte.
    »Ich dachte, du machst jetzt gemeinsame Sache mit Jack Sheppard.« Der Mann mit dem Vollbart hielt seinen Degen umklammert, kniff die Augen zusammen und setzte knurrend hinzu: »Wieso bist du hier?«
    »Die Sache mit Jack ist mir zu heiß geworden.«
    »Kann ich verstehen«, sagte der Mann mit der Hakennase, der etwas leutseliger und weniger argwöhnisch als sein Kollege wirkte. »Arbeitest du wieder für den General?«
    »Hab keine Lust, am Galgen zu landen«, sagte Blueskin statt einer Antwort.
    »Wer hat das schon?«, lachte der Schmale.
    »Und du?«, wandte sich der Dicke an Henry. »Bist du stumm?«
    »Nur wenn ich nichts Gescheites zu sagen hab«, antwortete Henry mit ernster Miene.
    Die beiden Männer sahen sich verdutzt an, schüttelten die Köpfe und lachten dann. »Ein Spaßvogel, was?«, fragten sie