Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)
Jungen taugten eh nichts.
STERN Aber das habe ich, glaube ich, nicht gesagt.
FISCHER Nein, er! Helmut Schmidt. Und ich habe mir fest vorgenommen, zu meinem Grundsatz zu stehen und nicht so zu reden, wenn ich selbst zu den Alten gehöre. Aber ich muss heute leider zähneknirschend und gramgebeugt gestehen, ja, es gibt ein massives Führungsproblem. Und das gibt es nicht nur in Deutschland, das gibt es nicht nur bei der Regierungsmehrheit, das gibt es bei der Opposition genau so, und wenn Sie sich umschauen im weiten Rund der europäischen Staats- und Regierungschefs und der wichtigsten Parteiführer, dann werden Sie feststellen, ja, da gibt es das auch. Das ist ein Kernproblem, Sie haben vollkommen Recht, und es hängt mit dem Qualitätsverlust in der jüngeren Generation zusammen. Ich habe mich immer gefragt, wo sind die Typen nur geblieben. Ich weiß mittlerweile, wo sie geblieben sind …
STERN In der Wirtschaft.
FISCHER Da sind sie geblieben. Und zwar meine ich gar nicht so sehr die im Managementbereich, sondern die, die was Eigenes auf die Beine stellen. Da findest du junge Leute, die du früher in der Politik gefunden hast, was Qualität und Kreativität angeht, und natürlich gehört auch ein Stück Egomanie dazu, wenn du dir in dem Alter was zutraust. Der Zugang zur Wirtschaft ist heute einfacher und reizvoller. Die Entideologisierung der Politik trägt ebenfalls dazu bei, dass die Politik an Reiz verloren hat. Ich muss das so sagen, ich gehöre ja zu denen, die das sehr gut gefunden haben aufgrund meiner umgekehrten ideologischen Erfahrung als junger Mann. Nur, mit Pragmatismus allein kommst du eben nicht wirklich weiter in der Politik, das ist nichts, was dich brennen lässt, nichts, was andere begeistert.
STERN Übrigens, im heutigen Amerika spielt Ideologie eine große Rolle in der Politik. Zurück zu Europa: Die Vorstellung, Europa zu retten, ist ja keine geringe Vision. Das wäre eine enorme Aufgabe für einen begeisterten Nachwuchspolitiker.
FISCHER Fritz, da fängt das Problem an: Wenn du dich auf so eine Aufgabe einlässt, könnte das ja dazu führen, dass du die nächsten Wahlen verlierst.
STERN Ich sehe schon. Mut zum Risiko als Voraussetzung.
FISCHER Ja, ohne Risiko zu gehen, erreichst du in der Politik nichts. In der Wirtschaft sagt das jeder: Du wirst nichts, wenn du nicht Risiko gehst, und dasselbe gilt in der Politik. Nicht in unverantwortlicher Weise, damit ich nicht missverstanden werde, kein Hasardspiel. Aber wenn du nur dein politisches Überleben und deine politische Karriere als Ziel hast, dann reicht das nicht. Wer nicht früh anfängt, auch mal was auf die eigene Kappe zu nehmen, kommt als Führungspersönlichkeit eigentlich nicht in Frage.
STERN An Führungspersönlichkeiten herrscht aber nicht nur in Deutschland Mangel, vielleicht sogar am wenigsten in Deutschland. Aber der Mangel herrscht in ganz Europa.
FISCHER Führungspersönlichkeiten kann man sich nicht backen.
STERN Nein. Aber erziehen.
FISCHER Die kann man auch nicht klonen, die entstehen oder sie entstehen nicht.
STERN Es gibt sie, aber es gibt sie jetzt eben häufiger auf anderen Gebieten als in der Politik. Die in meinen Augen überschätzten Verlockungen der Wirtschaft und überhaupt die Dominanz des ökonomischen Sektors und des ökonomischen Denkens spielen dabei eine Rolle. Es spielt aber auch eine Rolle, dass Politik nicht mehr selbstverständlich als Dienst am Gemeinwohl, an der Res publica, verstanden wird. Da ist viel verdorben worden, vielleicht denke ich aber zu sehr an mein eigenes Land.
FISCHER Also ich bin kein Anhänger der Dienstthese. Mich hat als junger Mann nicht die Begeisterung für den Dienst in die Politik getrieben, sondern ich war fasziniert von dem Ganzen. Mich hat die Machtfrage fasziniert, mich hat die Möglichkeit fasziniert, an der Geschichte mitarbeiten zu können, dort, wo Geschichte wirklich gemacht wird. Der Dienst kommt recht eigentlich erst, wenn man in eine Regierung eintritt, dann braucht man ein Dienstethos und auch das notwendige Maß an Zurückhaltung und Demut.
STERN Um mit Max Weber zu reden, ohne Leidenschaft geht’s nicht.
FISCHER Ja, und der Verlust an Leidenschaft, ich hab’s eben schon gesagt, hängt wohl mit der Entideologisierung zusammen.
STERN Und mit dem Geld. Das Geld ist als Mittel für die Gestaltung von Freiräumen so dominant geworden, dass es
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