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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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interessiert mich dabei weniger als die Frage, wie er es geschafft hat, beim Volk als ein solcher zu gelten. Hat er denn wirklich so viel bewirkt?
    FISCHER    Hat das was mit der «Bild»-Zeitung zu tun?
    STERN    Ist das eine Frage?
    FISCHER    Eine sehr naheliegende Vermutung. Wenn ich mir die realen Machtverhältnisse anschaue, dann spielen große Verlagshäuser und ihre politische Orientierung nach wie vor eine entscheidende Rolle – denken Sie an Murdoch. Aber selbst die «Bild»-Zeitung konnte Guttenberg nicht im Amt halten, so weit reichte ihr Einfluss dann doch nicht, aber bei seinem Aufstieg spielte sie durch die positive Darstellung seiner Person eine nicht unerhebliche Rolle. Zudem hatte er ein gewisses Charisma, zumindest relativ im Vergleich mit seinen Konkurrenten.
    STERN    Ich komme noch einmal zu Ihrer These von der Entideologisierung, die an und für sich in vielerlei Hinsicht einleuchtend ist. In Amerika erleben wir gerade eine Phase der Reideologisierung, und trotzdem finden sich die von Ihnen geschilderten traurigen Beispiele politischen Desinteresses dort genau so, und der Nachwuchs geht oder zumindest ging lieber an die Wall Street als in die Politik.
    FISCHER    Da haben Sie einen Punkt erwischt, der mich sofort zu kreativem Nachdenken bringt. Vielleicht ist der Begriff Entideologisierung der falsche. Vielleicht ist Entpolitisierung der Politik der richtige Begriff.
    STERN    Entpolitisierung ist ein viel tiefer gehender Begriff, er umfasst den gesamten Bereich des Politischen. Insofern wäre Entpolitisierung der Bevölkerung noch gefährlicher. Was fehlt, ist das Verständnis für die Möglichkeiten der Politik, beispielsweise Fragen des Wohlstands, der Einkommensverteilung oder überhaupt des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft zu beeinflussen. So weit sind die Menschen mittlerweile von der Politik gelangweilt und entfernt.
    FISCHER    Ich meine mehr die Entpolitisierung der Politiker selber. Politiker denken heute in egozentrisch karrieristischen Bahnen. Sie verstehen sich nicht mehr als Teil einer gemeinsamen Sache, für die sich zu kämpfen lohnt nach dem Motto: Das ziehen wir jetzt zehn, fünfzehn Jahre durch. Haben wir Erfolg, haben wir Erfolg; haben wir keinen Erfolg, habe ich dennoch für eine gute Sache gekämpft.
    STERN    Einer Idee dienen und versuchen, sie durchzusetzen.
    FISCHER    Wie gesagt, dienen ist mir zu altpreußisch, das versteckt mir zu viel an völlig legitimen, notwendigen Antriebskräften, die man kaum als dienende bezeichnen kann und die sicher nicht unter die protestantische Askese fallen. Letztendlich war ein Mann wie Helmut Schmidt bei all seiner Dienstrhetorik ein political animal durch und durch, Punkt.
    STERN    Es war und ist nicht Rhetorik. Ein political animal kann auch Verantwortung für das Gemeinwohl spüren und ihm dienen. Dienst ist nicht Gehorsam oder nur Gehorsam gegenüber der eigenen inneren Stimme. Diese Haltung, die übrigens auch bei ihm durch ein ethisches Wissen untermauert ist, finde ich vorbildlich, und nicht nur für deutsche Politiker. Das bedeutet nicht, dass ich in allem mit ihm übereinstimme, gerade auch was Menschenrechte in fernen Ländern anbetrifft.
    FISCHER    Ich bin grundsätzlich eher konservativ, was Dienstvorstellungen und die Ausübung eines öffentlichen Amtes betrifft, damit Sie da keinen falschen Eindruck bekommen. Aber der Begriff des Dienens klingt halt sehr nach altpreußischem Selbstverständnis.
    STERN    Ich würde eher meinen, dass «Dienst» auch den Gedanken des Berufs einschließt. Ich will nicht mit Ihnen wetteifern, aber was public service anlangt, bin ich mindestens so konservativ wie Sie. Strauß hat vermutlich auch behauptet, er habe Bayern gedient, aber ohne Frage hat er auch sich selber gedient.
    FISCHER    Ohne jeden Zweifel, aber er hat Bayern wirklich gedient, und wie wir vorhin schon festgestellt haben, wirft das zu Recht die Frage auf, ob Strauß sich nicht um das gesamte Gemeinwesen sehr verdient gemacht hat.
    STERN    Sie haben diese Frage aufgeworfen. Da Sie offenbar ganz gern auf ihn zurückkommen, möchte ich Sie fragen, ob Sie ihm persönlich begegnet sind.
    FISCHER    Ich bin ihm ein Mal begegnet und war richtig erschrocken. Damals lebten wir ja alle noch in unseren Feindbildern. Das war in meiner ersten Legislaturperiode im alten deutschen Bundestag in Bonn, Mitte der achtziger Jahre, da bin ich fast mit ihm zusammengeprallt. Die Gänge waren

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