Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)
für Obama, sich vor der Wahl kritisch gegenüber Netanjahu und seiner arroganten Einmischung in den amerikanischen Wahlkampf zu zeigen. Ich glaube zwar, dass ein wachsender Anteil der amerikanischen Juden ebenso bestürzt ist über Israels Politik der Selbstisolation wie viele kritische Israelis. Aber die Macht des Geldes war eindeutig auf Romneys Seite. Ob Obama jetzt, frei von Wahlsorgen, eine warnende Stimme werden kann, ob er versuchen wird, Israels Politik des Unheils zu kritisieren und den Friedensprozess erneut aufzunehmen, ist unklar. Die letzten Ereignisse – die Eskalation in Gaza, die Teilanerkennung der Palästinenser durch die UNO und die weltweiten Reaktionen auf die Ankündigung, neue Siedlungen zu bauen – sollten aber die Israelis selbst eigentlich zur Vernunft bringen. Leider, fürchte ich, wird nichts passieren. Auch hier ein tief trauriger Prozess der Selbstzerstörung? Wirkliche Freunde Israels sollten die jetzige Politik kritisieren und dem Land helfen, wenigstens die Sympathie Europas wiederzugewinnen und die Sympathie in den USA zu erhalten. Druck kann selbstverständlich auch auf materielle Weise ausgeübt werden, vielleicht ist es dafür an der Zeit.
FISCHER An den Prioritäten im Nahen Osten hat sich durch Obamas Wiederwahl nichts geändert. Der Iran und sein Nuklearprogramm bleiben dort das Hauptproblem, und es wird in diesem Jahr zur Entscheidung drängen. Das ist eine mehr als ungute Aussicht, da es jenseits eines echten Kompromisses – von dem allerdings unklar ist, ob Khamenei und die politische Führung in Teheran ihn wollen – nur schlechte Alternativen gibt. Ich persönlich glaube nicht, dass es unter Netanjahu und seiner Rechtskoalition ernsthafte Friedensverhandlungen mit den Palästinensern geben wird. Schon gar nicht mit der Hamas, die auf palästinensischer Seite immer stärker wird. Israel hat mit der Abstimmung in New York über den Beobachterstatus Palästinas bei der UN eine schwere diplomatische Niederlage erlitten und isoliert sich zunehmend diplomatisch. Allerdings, so fürchte ich, wird dies nicht zu mehr Vernunft, sondern zu mehr mentaler Abschottung und bei der Regierung zu einer Jetzt-erst-recht-Haltung führen, was mich mit großer Sorge erfüllt.
STERN Ja, lieber Joschka, ich teile Ihre Sorge, wahrscheinlich sogar viele Ihrer politisch-sozialen Sorgen. Und darum meine ich: Sie müssen die Rolle eines politischen Pädagogen annehmen, das heißt sich gelegentlich, in gewissen Abständen zumindest, an die deutsch-europäische Öffentlichkeit wenden, um Ihre Gedanken und Sorgen mit aufklärerischem Takt unter die Menschen bringen.
Nachwort
Im Frühjahr 2010 legten Helmut Schmidt und Fritz Stern im Verlag C.H.Beck ihr gemeinsames Buch «Unser Jahrhundert» vor. Beide waren zunächst skeptisch gewesen, ob die Form des gedruckten Gesprächs geeignet sei, komplexe Zusammenhänge zu durchdringen, ob nicht zwangsläufig vieles nur angetippt werden könne, was eigentlich gründlicher erörtert werden müsste. Dann aber erwies sich der Dialog, die wechselseitige Herausforderung von Frage und Antwort als ein besonders reizvolles Format, das auch beim Publikum auf viel Sympathie und Zustimmung stieß. Es lag also nahe, darüber nachzudenken, in welcher Konstellation sich diese Gespräche fortsetzen ließen. Ein Partner erschien Fritz Stern besonders reizvoll: der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer. Anfang 2012 bekundete Joschka Fischer seinerseits Interesse an einem solchen Gespräch.
Als die Themen, über die man sprechen wollte, zusammengestellt wurden, war schnell klar, dass für den amerikanischen Historiker genauso wie für den deutschen Politiker die Frage nach der Zukunft Amerikas, die Frage nach der künftigen Weltmachtrolle der USA, auf der Prioritätenliste weit oben stand. Die Gespräche, aus denen der vorliegende Band hervorgegangen ist, fanden Ende Mai 2012 statt, also gut fünf Monate vor den Präsidentschaftswahlen am 6. November; der Ausgang der Wahl war zu diesem Zeitpunkt völlig offen. Die Sorge, ein Sieg der Republikaner werde eine neue ideologische Eiszeit heraufführen, ist in manchen Passagen, insbesondere in Kapitel VII, unüberhörbar. Wir haben diese Stellen bei der Überarbeitung des Manuskripts in der zweiten Novemberhälfte stehen lass en, weil sie deutlich machen, wie wichtig der Sieg Obamas für uns am Ende war. In einem «Postskriptum» haben wir uns aber noch einmal über die Lage nach den Wahlen wie auch über
Weitere Kostenlose Bücher