Gegen jede Regel
Verdacht deutlich widersprachen.
»Wie steht es mit Ihnen? Wird Herr Grams nicht verärgert
sein, dass Sie ihn nun auch reingelegt haben?«
Pracht lachte. »Na klar wird er sich ärgern. Wenn man
reinfällt, ist das doch ganz normal. Aber dann beruhigt man sich wieder. Ich
habe ihn schon oft reingelegt. Er hat mich schon oft reingelegt. Wir spielen
das Spiel seit über dreiÃig Jahren.«
»Könnten Sie uns die neuen E-Mails von Herrn Grams
zeigen?«
»Gerne. Sie können auch alle meine anderen E-Mails lesen.«
Nina zückte ihren Stick. »Ich kopiere sie Ihnen auch gerne«, nickte Pracht mit
einem Lächeln. »Ich habe den Eindruck, Ihnen fehlt noch ein wenig das Verständnis
für das Spiel.«
Ich machte mir nicht die Mühe, zu widersprechen.
Der Unterschied zwischen den Büros der alten Freunde
Pracht und Grams hätte gröÃer nicht sein können. Zwar war Prachts Schreibtisch
auch überladen, doch die Papierstapel wirkten nicht chaotisch. Die Regale waren
voll, aber sie neigten sich nicht bedrohlich. Der Weg zum Computer war frei
zugänglich. Das Büro vermittelte den Eindruck eines hohen Arbeitspensums und sonst
nichts.
»Entschuldigen Sie die Unordnung«, sagte Pracht, während er
den Computer einschaltete. Er zeigte uns Gramsâ E-Mail, von der er uns erzählt
hatte. Es war so, wie er gesagt hatte.
Ich las die Zeilen und war danach überzeugt, Ãsterreich
steuere auf seinen Untergang zu, wenn es nicht die Türkei unterstützte. Und das,
obwohl ich gar nicht angesprochen war.
»Ein hervorragendes Beispiel für gute Diplomatie«, sagte
Pracht, der mein Gesicht beobachtet hatte, während ich las.
»Das finde ich auch«, sagte ich. »Die E-Mail ist sehr drängend.«
»Ja, sie ist so formuliert, dass man ihm gleich zustimmen
möchte. Zumindest will man ihm antworten und mit ihm diskutieren. Darauf setzt
er. Dass ich antworte und meine Pläne verrate. So hofft er dann, in
Verhandlungen mit anderen erfolgreicher zu sein.«
Das war für mich ein neuer Aspekt im Spiel, der wahrscheinlich
aber auch erst in späteren Phasen einer Partie bedeutsam wurde.
»Haben Sie ihm schon geantwortet?«
»Nein. Damit lasse ich mir viel Zeit. Darauf zu antworten,
ohne etwas zu verraten, ist ziemlich schwierig.«
Das leuchtete mir ein. Pracht kopierte die E-Mails auf Ninas
Stick, dann verlieÃen wir das Büro.
»Herr Pracht, Sie haben uns sehr geholfen. Vielen Dank«,
sagte Nina.
Wir zogen unsere Mäntel an. Auf dem Weg zur Haustür hielt
Nina an, drehte sich noch einmal um und fragte: »Sagen Sie, wo waren Sie am
Sonntagabend zwischen elf und eins?«
»Zu Hause. Im Bett mit meiner Frau.«
»Und vorher?«
»Haben wir ferngesehen.«
»Und was?«
»Den Tatort. Das machen wir jeden Sonntag. Und danach
gehen wir ins Bett. Unsere Arbeitstage beginnen sehr früh, wissen Sie.«
Mir fiel auch noch eine Frage ein: »Wo ist denn Ihre
Frau? Die haben wir gar nicht kennengelernt.«
Martin Pracht lächelte. »Die ist seit gestern mit ihren
Freundinnen vom Chor auf einem Ausflug. Bis Sonntag habe ich das Haus für mich
allein.«
»Sie sind ein Strohwitwer.«
»Ganz genau«, sagte er lachend.
Â
»Der war mir viel sympathischer als Herr Grams«,
sagte Nina, als wir wieder im Auto saÃen. »Nicht so aufbrausend.«
»Das finde ich auch«, sagte ich und startete das Auto.
»Wohin fahren wir?«
»Ins Präsidium.«
»Du meinst wahrscheinlich nicht unser Präsidium, oder?«
»Nein, ich meine das von Hauptkommissar Seybold.«
Nina seufzte. »Es war zu schön, um wahr zu sein.«
»Meinst du, Pracht ist gefährdet?«
»Ich weià es nicht. Was meinst du?«
»Er selbst hält sich nicht für gefährdet und er hält auch
Elias Grams nicht für gefährlich.«
»Bist du sicher?«
»Zumindest sagt er das. Und seit wann stellst du so offensichtliche
Beobachtungen infrage?«
»Seit wir in dieses Spiel eingestiegen sind.«
»Aber die Spieler belügen sich nur untereinander.«
»Wir wissen nur, dass es ausgezeichnete Lügner sind.«
Ich sagte: »Jetzt mal Hand aufs Herz. Glaubst du, Pracht
ist gefährdet? Glaubst du, Grams hat Tobias umgebracht?«
Nina überlegte. Sie überlegte sogar ziemlich lange und
gab ihre
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